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Vorsicht, dies ist eines meiner "Frühwerke". Deswegen ist der Inhalt nicht falsch, aber ich bin nie ein Verwaltungssoziologe geworden ;-)

Alltagskontakte zwischen Bürger und Verwaltung

Ein deskriptives Schema von Thomas Siebe

(1992)

www.siebe.tk

INHALT

1. Einführung

1.1. Problemstellung
1.2. Bearbeitung und Darstellung

2. Theoretischer Ansatz

2.1. Entdeckungszusammenhang
2.2. Beschreibendes Schema
2.3. Der Mehrperspektivenansatz

3. Das Gesamtverhältnis

3.1. 'Leiden' am Verhältnis
3.2. Präzisierung der Komponenten und der Teilverhältnisse
3.2.1. Die bürokratische Organisation
3.2.2. Das Personal
3.2.3. Das Publikum
3.2.4. Das Teilverhältnis Personal - Organisation
3.2.5. Das Teilverhältnis Publikum - Organisation

4. Das Teilverhältnis Personal - Publikum

4.1. Rahmenbedingungen
4.2. Präzisierung des Kontaktes
4.3. Die Erklärungsschichten
4.3.1. Erwartungsmuster
4.3.2. Persönlichkeitsmerkmale
4.3.3. Ressourcenverteilung
4.3.4. Räumlich-technische / zeitliche Gegebenheiten des Kontaktes

4.4. Die Analysedimensionen

4.4.1. Macht als Analysedimension
4.4.2. Wissen als Analysedimension
4.4.3. Situationsgegebenheiten als Analysedimension
4.4.4. Interaktionselemente als Analysedimension

5. Die Verknüpfungsmechanismen

Literatur

 Soziologie
Soziologie. Allgemeine Grundlagen.
von Hartmut Esser (Campus 1999) bei AMAZON.de

1. Einführung

Das Verhältnis zwischen Bürger und öffentlicher Verwaltung ist zum Gegenstand vieler bezeichnender Witze und Anekdoten für die Friktionen und den Ärger zwischen Personal und Publikum geworden. Auf der Seite des Publikums werden boshafte Witze über Beamte gemacht, wird Ohnmacht gegenüber dem 'allmächtigen' Verwaltungsapparat verspürt und nach größerer Bürgernähe gerufen, während auf Seiten des vollziehenden Verwaltungspersonals über Unverständnis und Uninformiertheit des Publikums einerseits, andererseits über den Druck 'von oben' und resultierenden Streß geklagt wird. Politiker warnen sporadisch vor einer Totalherrschaft der Bürokratie im Alltag, dann wieder bombardieren sie die Verwaltungsorganisationen mit neuen Gesetzen, Ergänzungen und Regeln, um möglichst jeden Fall und jeden Klienten zu berücksichtigen. Offensichtlich ist die Forderung nach einem minimalen Verwaltungsapparat mit optimaler Gerechtigkeit für jeden Klienten eine Zauberformel, viele Dilemmata also letztlich unlösbar . Die Soziologen D.GRUNOW und F. Hegner geben daher zu bedenken, daß viele Mängel sich vermutlich am ehesten auf der Ebene der Interaktion zwischen Personal und Publikum lösen oder ausgleichen lassen. Einleitend mit einem Aufsatz (GRUNOW 1972) haben sie innerhalb der Projektgruppe "Verwaltung und Publikum" das Verhältnis zwischen Steuerzahler und Finanzamt empirisch untersucht und die Ergebnisse sowie den theoretischen Ansatz zur Untersuchung in einer vierbändigen Edition 'Bürger und Verwaltung' vorgelegt. In diesem Zusammenhang haben sie die bisherigen Zugriffe der Organisationssoziologie auf das Thema als nicht zufriedenstellend charakterisiert und versucht, einen eigenen Ansatz als Grundlage ihrer empirischen Forschungen in diesem Bereich vorzulegen. Dabei ging es ihnen vornehmlich um die Beleuchtung der Gegebenheiten im Kontakt (im Gegensatz zu Gründen des Nichtkontaktes) zwischen Verwaltung und Publikum.

1.1. Problemstellung

In dieser Arbeit soll der von HEGNER und GRUNOW gewählte Mehrperspektivenansatz in seiner Begründung und Anwendung dargestellt werden. Dabei sollen die in der dimensionalen Analyse des Gesamtverhältnisses Bürokratie und Bürger erstellten deskriptiven Schemata im allgemeinen und die Taxonomie der Alltagskontakte zwischen Publikum und Verwaltung im besonderen beschrieben und erläutert werden.

1.2. Bearbeitung und Darstellung

Im Rahmen dieser Arbeit konnte wegen den ohnehin schon sehr komplexen Konzeptspezifikationen und deskriptiven Schemata kaum oder gar nicht auf die empirischen Ergebnisse, die auf Grundlage des hier vorzutragenden Ansatzes erzielt wurden, eingegangen werden. Deswegen liegen dieser Arbeit im Kern die Inhalte der Bände II und III zugrunde (HEGNER 1978 ;GRUNOW 1978). Auch liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf der von GRUNOW bearbeiteten Interaktion zwischen Personal und Klienten, so daß HEGNERS systematische Darstellung des Gesamtverhältnisses und der vermuteten bürokratischen Dilemmata außerhalb der Problemebene der Interaktionen, also des Verhältnisses Publikum - Personal, nur in groben Zügen gezeichnet wird. In Teil 2 wird zuerst der theoretische Ansatz von GRUNOW und HEGNER dargestellt und in die Problematik des Mehrperspektivenansatzes eingeführt. In Teil 3 wird eine Darstellung des Gesamtverhältnis mit seinen Komponenten und den Teilverhältnissen vorgenommen, wobei die verknüpfenden Mechanismen angedeutet werden. Dieser Teil soll nur einen groben Rahmen darstellen, innerhalb dessen das eigentlich genau zu untersuchende Teilverhältnis Personal-Publikum eingebettet ist. In Teil 4 wird GRUNOWS Untersuchung der Alltagskontakte genauer unter die Lupe genommen und in einem deskriptiven Schema systematisiert. In Teil 5 gehe ich dann auf die Mechanismen ein , deren Ausprägungen den Alltagskontakt zwischen Bürger und Verwaltung besonders prägen und beeinflussen.

2. Theoretischer Ansatz

2.1. Entdeckungszusammenhang

Analog dem Schema eines Forschungsprozesses (von Aleman 1977: 147 ff.) kann der Forschungsprozeß in Entdeckungs- Begründungs- und Verwertungszusammenhang unterteilt werden. Der Entdeckungszusammenhang umschließt u.a. das Erkennen eines sozialen Problems und die Übersetzung des Problems , seiner Komponenten und ihrer Inhalte in die Fachsprache der betreffenden Disziplin (Präzisierung). Die Wahrnehmung, daß das Verhältnis zwischen öffentlichen Verwaltungen und ihrem Publikum ein problematisches ist, muß nicht erst elektronischen Medien oder Printmedien entnommen werden, sondern erfährt man auch am eigenen Leibe, weil sich staatliche administrative Tätigkeiten in der Tendenz immer mehr ausweiten und kaum ein Bürger von diesen Tätigkeiten nicht betroffen ist. HEGNER spricht in diesem Zusammenhang von einer "Bürokratisierung des Alltags" (HEGNER 1978 : 25). Im Verhältnis zwischen Bürger und Verwaltung kommt es zu teuren Mißverständnissen und Fehleinschätzungen, zu Disfunktionen von Programmen und Entfremdungen der Bürger, zur Bildung von Vorurteilen oder Vermeidungshaltungen. Diese Art von Mängeln werden als bürokratische Dilemmata bezeichnet, soweit ihre Existenz in der Struktur des bürokratischen Prinzips immanent ist und sie als solche letztlich nicht beseitigt werden können oder das Dilemma allenfalls auf eine andere Ebene verschoben werden kann. Echte Dilemmata können nur gelindert werden, wenn sie überhaupt diagnostiziert werden und indem das 'Leiden' an ihnen unter den Beteiligten gleichmäßig verteilt wird. Manche Mängel können durchaus nur als Dilemmata scheinen, eigentlich aber beseitigt werden. Eine wichtige These von GRUNOW und HEGNER (GRUNOW 1978:10) ist , daß eine Linderung bürokratischer Dilemmata oder gar eine Diagnose als 'falsches Dilemma' vermutlich am ehesten auf der Ebene der Alltagskontakte von Publikum und Verwaltung erreicht werden kann.

2.2. Beschreibendes Schema

In der Regel dient der Forschungsprozeß der Überprüfung kausaler Hypothesen oder dem Nachweis von Korrelationen, die entweder aus schon bestehenden Theorien abgeleitet werden oder - vorausgesetzt ,die Hypothesen werden nicht falsifiziert - zu neuen Theoriemodellen führen. Ein zu erklärendes Phänomen - das Explanandum - wird auf ein Gesetz zurückgeführt, daß bei definierten Randbedingungen das Phänomen erklärt. Das ist das deduktiv-nomologische Modell (ESSER 1992 : 48). Gesetz und Randbedingungen bilden das Explanans, die empirische Untersuchung hat den Status einer erklärenden Studie (ZETTERBERG 1967:67). Diesen Weg gehen GRUNOW und HEGNER nicht: Ihr Ziel ist es vorerst, im Unterschied zu einem Theoriemodell ein beschreibendes Schema des Phänomens (bürokratisches Dilemma, Alltagskontakte) und der Randbedingungen zu entwerfen, um in der beschreibenden Studie die Begriffe und Konstrukte, die nur theoretische Rekonstruktionen der Verwaltungs- und Kontaktrealität sind , einer Bewährungsprobe zu unterziehen. Dieser Weg wird u.a. eingeschlagen, weil beide Soziologen für eine möglichst große Nähe von Theorie und Empirie eintreten. Die gängigen Bürokratietheorien sind für ihre Zwecke schlicht zu allgemein und nicht spezifisch genug, um überprüft zu werden. Auch existieren nur wenige Untersuchungen zum Thema Verwaltung und ihre Publika, mit deren theoretischen Grundlagen GRUNOW und HEGNER zudem unzufrieden sind.

2.3. Der Mehrperspektivenansatz

Bei der Sichtung der Arbeiten zum Thema Verwaltung - Publikum ist den Autoren nicht nur aufgefallen, daß dieses Verhältnis gemessen an seiner Aktualität überraschend selten im Mittelpunkt organisationssoziologischer Untersuchungen stand, sondern auch, daß die Betrachtungsweise in der Regel monoperspektivisch aus der Sicht der Organisation gewählt war. Damit einhergehend wurden auch die nicht-rechtlichen Aspekte des Verhältnisses vernachlässigt. Die Verwaltungsarbeit mit Publikumskontakt wird aber neben Rechtsnormen und Verfahrensregeln z.B. auch von der Personalauswahl, dem Einsatz des Personals und der Aktivität und Reaktivität des Klienten beeinflußt. Daneben müssen auch die Wechselwirkungen, z.B. die Folgen von Kontakten auf neue potentielle Begegnungen ,berücksichtigt werden. Dies in Rechnung stellend forderten GRUNOW und HEGNER eine Inklusion der in Frage kommenden Perspektiven und ihrer Beziehungen untereinander in der Wissenschaftsperspektive (GRUNOW 1972). Wird das Verhältnis zwischen einem offenen System und seiner Umwelt untersucht, reicht es ihrer Meinung nach nicht aus, die Umwelt und das Verhältnis allein aus der Sicht des Systems zu analysieren. Betrachtet man im vorliegenden Fall das Verhältnis Verwaltung und Bürger ausschließlich aus der Sicht der Verwaltung, also der Organisation oder des Systems, so bekommt man auch nur einen beschränkten Blick für die im Verhältnis liegenden Dilemmata, zumal die möglichen Perspektiven auch nicht zueinander in Beziehung gesetzt und verknüpft werden können. Im Gesamtverhältnis Verwaltung -Bürger sind mehr Perspektiven als nur das Publikum und die Verwaltungsorganisation impliziert. So tritt dem Klienten als Vertreter der Organisation ein Mitglied dieser Organisation gegenüber, daß als ausführendes Personal z.B. nicht völlig durch die Regeln gebunden ist, sondern Handlungsspielräume im Vollzug des auszuführenden Programmes und natürlich im Bereich der Interaktion hat. Eine weitere Perspektive ist die der Gesamtgesellschaft bzw. der Politik, die die Bedingungen für Entscheidungen zur Erstellung von ausführbaren oder eben nicht ausführbaren Programmen schafft. So zeigen sich Dilemmata nicht nur im 'Leiden' der Verwaltungsorganisation am Publikum, sondern die Organisation 'leidet' auch an der Politik. Auch im Verhältnis des Personals zur Organisation, zur Politik oder zum Publikum treten Disfunktionen und Friktionen zu Tage. Endlich hat das Publikum sowohl unter dem Personal, der Organisation oder der Politik zu leiden. Dabei muß berücksichtigt werden, daß es jeweils eine faktische Ebene und eine eingeschätzte Ebene des Verhältnisses gibt: Zum einen handelt es sich um in der Realität objektiv erfassbare Gegebenheiten oder Funktionen des Verhältnisses, d.h. sie sind meßbar oder materiell greifbar, zum anderen wird ein Verhältnis oder Ereignis subjektiv von Personen wahrgenommen und bewertet. Das Ergebnis dieser Einschätzung kann dann wiederum - gestützt auf das Thomas-Theorem - sehr real sein. Hier deutet sich bereits die Komplexität der Erfassung des Gesamtverhältnisses an. Innerhalb eines Mehrperspektivenansatzes müssen also nicht nur die Komponenten des Verhältnisses präzise erfaßt und beschrieben werden, sondern auch die Bezüge zwischen den Komponenten als sogenannte "Teilverhältnisse" (HEGNER 1978: 68). Diese Bezüge wiederum müßen näher charakterisiert werden, z.B. gekennzeichnet durch eine bestimmte Form eines Dilemmas. Um dies in der Empirie zu verwirklichen, ist neben einem Mehrperspektivenansatz auch ein Mehrmethodenansatz erforderlich. Es reicht unter diesen Prämissen nicht, den Zugriff allein z.B. mit einer Befragung zu betreiben , sondern das Repertoire der zur Verfügung stehenden Methoden ist nach Möglichkeit durch Inhaltsanalyse und Beobachtung auszuschöpfen. Bei einem derartig komplexen Ansatz ist es ebenfalls unvermeidlich, daß der Ansatz interdisziplinär ist, d.h. daß er 'Anleihen' bei anderen Fachrichtungen wie der Psychologie oder der Rechtswissenschaft macht.

3. Das Gesamtverhältnis

Vorerst vier Perspektiven sind Bestandteil des Gesamtverhältnisses zwischen Verwaltung und Bürger: Die Politik , die die Bedingungen für Entscheidungen schafft, die Organisation, die Programme erstellt, das Personal, daß Programme ausführt und das Publikum als Adressat dieser Programme. Nun kann man die Rahmenbedingungen auf unterschiedlichen Aggregationsebenen oder Erklärungsdimensionen versuchen zu erfassen: Auf der Ebene der Gesellschaft, auf der Ebene der spezifischen Behörde, auf der Ebene der Interaktion zwischen Bedienstetem und Klient und auf der individuellen persönlichen Ebene. Da auch ein derartig komplexer Analyseansatz wie der hier Vorzustellende nicht ins Uferlose gehen kann, wurde im weiteren Verlauf der Analyse der Komponenten die gesamtgesellschaftliche Perspektive als solche, vertreten durch Politik, wegreduziert und später so getan, als würden die Bedingungen und Voraussetzungen für die zu erstellenden Programme auf der Ebene der Organisation liegen . Auch wird unter Publikum lediglich die Menge der unorganisierten Klienten verstanden, die nicht im Auftrage einer anderen Organisation oder als Repräsentant einer solchen Kontakt mit der Verwaltung haben. Die Komponenten Interaktion, Personal, Publikum und Behörde sollen nun systematisch zueinander ins Verhältnis gesetzt werden.

3.1. 'Leiden' am Verhältnis

Um den Teilverhältnissen und denen in ihnen vermuteten Dilemmata näher zu kommen, sollen kurz disfunktionale oder disharmonische Aspekte - das 'Leiden' - der verbliebenen drei Perspektiven im Verhältnis untereinander und zur Politik dargestellt werden. Die Organisation der öffentlichen Verwaltung hat in ihrem Verhältnis zur Politik durch die zunehmende gesellschaftliche Differenzierung Probleme mit immer neuen Gesetzesänderungen oder Ergänzungen. Daneben verwischen sich , wie schon erwähnt, die Grenzen zwischen Politik und Verwaltung ebenfalls sukzessive. Im Leiden der Organisation am Personal diagnostiziert HEGNER bereits einen bestimmten Typus der bürokratischen Dilemmas, den "bürokratischen Teufelskreis" (HEGNER 1978:33). Dabei schaffen Organisationsregeln, die eigentlich aufgabenspezifisches und regelkonformes Verhalten des Personals sichern sollen, Verhaltensweisen, die gerade widersprüchlich zu den erwähnten Regeln und Aufgaben sind und neue, inadäquate Regel schaffen. Neben den Disfunktionen bürokratischer Regeln können auch motivationale und kognitive Defizite auf Seiten des Personals in diesen Teufelskreis eingehen.Einen ähnlichen Teufelskreis vermutet HEGNER im Verhältnis der Organisation zum Publikum: Zum einen soll jeder Klient gleich behandelt werden und Vorschriften möglichst den Besonderheiten des Einzelfalles angepaßt werden, zum anderen zwingt die wachsende Verwaltungstätigkeit zu Schematisierungen und Generalisierungen des Bearbeitungsprozesses. Da es die eingangs schon erwähnte Zauberformel offensichtlich nicht gibt, sind diese widersprechenden Prämissen nicht völlig vereinbar, man sitzt in einer 'Zwickmühle'. Wird so oder so gehandelt, wird vom Klienten entweder die Ungerechtigkeit oder die Unübersichtlichkeit der Vorschriften kritisiert. Funktionale Äquivalente wie 'persönliches Vertrauen' durch Erfahrungen mit der Verwaltung können noch als verhaltenssteuernde Mechanismen oder verhaltenssichernde Elemente in die Bresche springen. Fallen auch sie aus, kommt es zu einem generellen Mißtrauen gegen Großorganisationen, einem Mißtrauenssyndrom, wie F.X.KAUFMANN es bezeichnet hat (HEGNER 1978: 41 oder auch GRUNOW 1975:4). Das Personal wiederum hat die psychischen Konsequenzen der oben beschriebenen Teufelskreise zu tragen. Im Verhältnis zur Organisation muß das durch die Organisation kontrollierte Personal festgeschriebenen Anforderungen oder auch Kontrollmustern gerecht werden, ohne Rücksicht darauf, inwiefern diese Regeln der Realität des tatsächlich Machbaren entsprechen. Das führt zu Streß und auch zu sozialen Spannungen, die auch aus einer Diskrepanz zwischen der Ausbildung und dem tatsächlich versehenen Dienst entstehen können. Im Verhältnis bzw. in der Interaktion mit dem Publikum muß sich das Personal mit Vorurteilen , mangelndem Wissen, fehlender Übung und falscher Einschätzungen des personalen Spielraums innerhalb der Organisation herumschlagen. Seitens der Politik leidet es unter Einmischung und Einengung des Spielraums, unter fehlender Rückmeldung und Rückendeckung. Die Einbußen an Glaubwürdigkeit in der Politik hat z.T. das Verwaltungspersonal gegenüber den Klienten zu tragen. Das Publikum andererseits leidet unter der Ohnmacht gegenüber der Politik, die bürokratischen Regeln der Organisation sind undurchschaubar, ebenfalls ohnmächtig steht der Klient am Ende der Reihe der Auswirkungen eines Programmes. Vom Personal wird der Klient stereotyp wahrgenommen, er ist ohne Übung im Umgang mit Verwaltungshandeln und muß sich einer formalen Rollenverteilung fügen, die er a priori selten kennt. Hat der Klient die Wahrnehmung eines große Spielraums des Handelns auf Seiten des Personals, erzeugt das Erwartungsunsicherheit, schätzt er den Spielraum des Bediensteten aufgrund genauer und deswegen natürlich komplexer rechtlicher Regelungen als gering ein, bleibt er unsicher wegen der Flut von Paragraphen und Regeln.

3.2. Präzisierung der Komponenten und der Teilverhältnisse

Wie unter 2.1. schon erwähnt wurde, müßen die Komponenten und ihre Inhalte abgegrenzt ,präzisiert und systematisiert werden, sie müßen sozusagen in die soziologische Sprache übersetzt werden. Das gleiche gilt für die Verhältnisse der Komponenten untereinander. Zur Eingrenzung waren bereits zuvor Reduktionen vorgenommen werden. Die gesamtgesellschaftliche Komponente 'Politik' wurde ausgeschlossen. Somit ist das Verhältnis auf ein 'Dreieck' geschrumpft: Der Klient und die Verwaltung , vertreten durch einen Bediensteten als Teil des Personals. Auch hat HEGNER in seiner Arbeit (HEGNER 1978) das Teilverhältnis Publikum - Personal und damit die Inhalte und Aspekte der Interaktion fast völlig vernachlässigt, weil sich sein Kollege GRUNOW im dritten Band der Edition (GRUNOW 1978) darauf konzentriert. Aus diesem Grund ist die Perspektive in diesem Teil etwas organisationslastig und beschäftigt sich vornehmlich mit Prämissen des Handelns für Personalangehörige im Teilverhältnis zur Organisation. Im folgenden sollen die Bestandteile der Komponenten und die Teilverhältnisse skizziert werden.
3.2.1. Die bürokratische Organisation
Organisation wird von HEGNER als ein Kooperationssystem verstanden und zwar als "...ein Komplex physikalischer, biologischer, personaler und sozialer Komponenten, die deshalb in einer spezifischen systematischen Beziehung zueinander stehen, weil zwei oder mehr Personen im Hinblick auf mindestens ein bestimmtes Ziel miteinander kooperieren." (CH.BARNARD cit.n. HEGENER 1978:72) . Die Kooperationen können vier abgegrenzten Faktorengruppen zugeordnet werden: Faktoren, die sich aus Aspekten der physikalischen oder aus Aspekten der sozialen Umwelt ergeben, Faktoren die mit Individuen verbunden sind und sonstigen Variablen. Wichtig sind nun insbesondere die sozialen Regeln und Regelhaftigkeiten zwischen den Individuen im Kooperationssystem der Organisation. Kooperationssystem bezeichnet in der Folge das dynamische Handlungssystem der Behörde, während Kooperationsgefüge lediglich die Gesamtheit der Bestandteile behördlicher Kooperation umschließt. Grundlagen organisierter Kooperation sind verschiedene Typen von Verhaltenserwartungen. Sie lassen sich nach dem Grad der Generalisiertheit, der Spezifität und der Formalisiertheit näher präzisieren. Das Kooperationsgefüge einer bürokratischen Organisation weist nun eine Reihe von besonderen verhaltensregelnden Merkmalen und formalisierten Verhaltensnormen auf: So gibt es eine Amtshierachie mit festgeschriebenen Kontroll- und Aufsichtsbefugnissen, es gilt das Prinzip der Aktenmäßigkeit, nach dem quasi jedes Ereignis und jeder Prozeß innerhalb der Behörde schriftlich festzuhalten ist und es existiert eine festgeschriebene Laufbahnordnung. Generalisierte und formalisierte Verhaltenserwartungen , die dazu dienen, diese Merkmale in Geltung und Existenz zu sichern, sind bürokratische Regeln und ein formal organisiertes Handlungssystem, daß vornehmlich auf diese Regeln zurückgreift, ist eine bürokratische Organisation. Neben seinen formalen Strukturen hat das bürokratische Kooperationssystem aber auch mehr oder weniger stark ausgeprägte informelle Strukturen, weil nicht jede Handlung oder Erwartung festzuschreiben ist. Das Kooperationsgefüge wird nun innerhalb verschiedener Strukturen zum Handlungssystem, 'tritt in Verbindung' mit Personal und Publikum. Unter Struktur versteht HEGNER ein "Ordnungsprinzip, nach welchem in einer bestimmten Verwaltungseinheit oder Behörde die Formen und Inhalte der sozialen Regelung von Handeln und Erleben als verbindlich konstituiert werden..." (HEGNER 1978:79) . Struktur impliziert für HEGNER auch eine Dauerhaftigkeit dieses Ordnungsprinzips. HEGNER unterscheidet Programmstruktur, Kommunikations- oder Kontrollstruktur und Personalstruktur. Die Programmstruktur schafft durch die mehr oder weniger große Einengung der Spielräume des Handelns - je nach dem, mit was für einem Programm die Organisation durch das Personal an das Publikum herantritt - zumindest ein Minimum an Erwartungs- und Verhaltenssicherheit. Die Kommunikationsstruktur regelt die Zusammenarbeit des Personals, indem Kommunikations- und Kontrollmuster verbindlich festgelegt werden. Als Kontrollstruktur sichert sie auch die Einhaltung der Organisationsregeln. Die Personalstruktur betrifft die Regeln für die Rekrutierung ,Ausbildung und den Einsatz des Personals. So werden die Verhaltensweisen von Verwaltungsangehörigen gegenüber dem Publikum nicht nur von der spezifischen Behördenstruktur abhängen, sondern sie variieren auch mit dem unterschiedlichen Einsatz des Personals innerhalb einer spezifischen Behörde und mit den unterschiedlichen Persönlichkeiten der Bearbeiter.
3.2.2. Das Personal
Abgesehen von den festgeschriebenen Beziehungen des Personals untereinander steht der Bedienstete einer Behörde auch in einem Geflecht informeller Beziehungen mit Kollegen. Zudem beeinflußt die individuelle Persönlichkeitsstruktur , also die "...Gesamtheit der Fähigkeiten, Kenntnisse, Fertigkeiten und Motive..." (HEGNER 1978:88) unabhängig von vergleichsweise groben Rekrutierungsmustern die Beziehung zum Klienten, d.h. neben ökonomischen und soziokulturellen Aspekten wie Gehalt oder Schichtzugehörigkeit müßen auch psychische Aspekte des Individuums berücksichtigt werden. Dazu gehören individuelle Bedürfnisse und Motivationen, die sich auf die Eintrittsmotivation und Leistungsmotivation beziehen: Warum tritt die Person überhaupt dem Kooperationssystem bei und kann dazu gebracht werden, weiterhin daran teilzunehmen ? Dazu gehören auch Kognitionen und Perzeptionen , z.B. bezogen auf die Aufgaben , durch die Tätigkeit bedingt oder durch die Wahrnehmung von Kontrolle. Und dazu gehören persönliche Attitüden oder Wertvorstellungen sowie sogar die körperliche Konstitution.
3.2.3. Das Publikum
Ähnliche Persönlichkeitsmerkmale sind auch als Bestandteil der Publikumskomponente zu vermerken. Im Bereich der Kognitionen und Wahrnehmungen ändert sich natürlich die Perspektive: Sie sind auf z.B. das Anliegen oder den Anlaß des Kontaktes bezogen . Die Bedürfnisse und Motivationen betreffen das Kontaktanliegen oder die Kontaktabwicklung. In Betracht gezogen werden müßen jedenfalls ökonomische Aspekte wie Bedürftigkeit, ökonomischer Mangel oder soziale Problemlagen.
3.2.4. Das Teilverhältnis Personal - Organisation
Oben wurde skizziert , wie die Organisation das Handeln und die Erwartungen des Personals formal einschränkt. Wie aber werden Bedienstete dazu bewegt, überhaupt in das Kooperationssystem einzutreten und dann auch in der Kooperation zu bleiben ? Aus der Sicht der Organisation können hier kurz die Faktoren Gehalt und Sozialprestige als extrinsische Anreize sowie das Angebot einer 'Berufung' als intrinsischer Anreiz genannt werden. Diese Reize können aus der Sicht des potentiellen Personals mögliche Bedürfnisse darstellen, die die Motivation zum Eintreten in das Kooperationssystem schaffen. Um die Permanenz der Teilnahme am Kooperationssystem zu gewährleisten, aber auch, um die Kontingenz des handelnden Individuums in Grenzen zu halten, muß ein sozialer Mechanismus gefunden werden, der einerseits die Erwartungsbündel der Bedürfnisse, Motive, Kognitionen und Perzeptionen des rekrutierten Individuums dauerhaft und relativ konstant erfüllt und der andererseits die formalen Kontingenzen der Organisation reguliert. Dieser soziale Mechanismus ist die Schaffung von Positionen und Rollen. Der Bedienstete wird damit sowohl in eine formale, wie auch in eine soziale, informelle Mitgliedsrolle in die Kooperation eingebunden. Auch die informelle Rolle erhöht die Erwartungssicherheit: Unter Kollegen ist nicht alles erlaubt. Ein institutioneller Mechanismus der Verknüpfung von Organisation und Personal ist die Schaffung von Positionen wie einer Stelle, eines Dienstpostens oder eines Amtes. Dabei unterscheiden sich diese drei Positionstypen in den formalen a priori Anforderungen an die Position : Ein Dienstposten ist z.B. ein vorab konkretisiertes Bündel von Aufgaben und Befugnissen, während die Schaffung einer Planstelle vorerst noch wenig über die zu verrichtende Aufgabe oder den Bediensteten, der sie ausfüllen soll, aussagt. Die Besetzung der entsprechenden Position hat wiederum Auswirkungen auf das individuelle Handeln und Erleben des Besetzers.
3.2.5. Das Teilverhältnis Publikum - Organisation
Wie beim Teilverhältnis im letzten Abschnitt steht auch hier ein sozialer Mechanismus in Ausprägung einer administrativen oder formalen Publikumsrolle zur Reduktion der Kontingenzen zur Verfügung. Diese Rolle enthält Erwartungsbündel oder festgeschriebene Regeln betreffend den Anlaß , der Abwicklung und des Ergebnisses des Kontaktes mit der Behörde. Bei dem Klienten werden z.B. definierte Fähigkeiten vorausgesetzt oder auch gar nicht erwartet. Bedürfnisse werden begrenzt oder Kontaktergebnisse programmiert. Demgegenüber steht auf Seiten des Publikums ein Konglomerat von Erwartungen hinsichtlich der Berechtigung der Kontaktaufnahme, der Abwicklung und des Ergebnisses des Kontaktes mit der Verwaltung. Diese Kontaktanlässe, Kontaktformen und Kontaktergebnisse werden im nächsten Abschnitt innerhalb der Rahmenbedingung Kontaktverlauf näher erläutert.

4. Das Teilverhältnis Personal - Publikum

Nachdem in Teil 3 das Gesamtverhältnis , in dessen Kontext das zentrale Thema dieser Arbeit steht , skizziert wurde, richtet sich der Fokus nun auf die Interaktion zwischen dem Personal als Vertreter der Verwaltung und dem Publikum, ohne dabei allerdings das im Ansatz immer mit involvierte Gesamtverhältnis aus den Augen zu verlieren. Da jetzt sozusagen der Zoom des Mikroskops vergrößert wurde, müßen auf die Gefahr von Wiederholungen hin erneut Rahmenbedingungen präzisiert werden.

4.1. Rahmenbedingungen

Als Blöcke der Rahmenbedingungen nennt GRUNOW die Verwaltung, den Bürger und den Kontaktverlauf. Zur Reduktion der Komplexität müßen bei den Rahmenbedingungen irrelevante oder kaum überprüfbare Aspekte wegreduziert werden bzw. müßen die relevanten Rahmenbedingungen genauer spezifiziert werden: Verwaltung: Es werden nur Behörden , d.h. Zweige der öffentlichen Verwaltung mit Vollzugscharakter erfaßt, die Kontakte mit einzelnen Bürgern haben. Bezüglich des Kontaktes grenzt GRUNOW auch die sogenannten 'people-processing'-Organisationen wie Gefängnisse, Krankenhäuser oder Altenheime aus. Er bezieht sich auf die Aussenbeziehung der Behörde, wobei der Kontakt durchaus nicht nur am Schalter, sondern auch daheim beim Klienten oder sonstwo stattfinden kann. Wegen der Unterschiede in der politischen und ökonomischen Struktur und der spezifischen Rechtsverteilungen beschränkt sich der theoretische Ansatz auf Behörden der Bundesrepublik. Bürger: Bei der Systematisierung der Alltagskontakte zwischen Verwaltung und Bürger wird nur die Einzelperson des Kontaktgeschehens erfaßt. Bürger als Repräsentanten von Interessenverbänden oder professionelle Vermittler ( z.B. Steuerberater) gehen nicht mit in die Untersuchung ein. Nutznießer, Begünstigte und Belastete als Adressaten von Verwaltungsleistungen und Eingriffen, die ein unmittelbares, spezifisches Interesse an der Verwaltungsfunktion haben, umschließen den Kreis der Einzelbürger. Diese können sich unterscheiden... - ...nach dem Grad der Betroffenheit, wobei hier zwischen einer zeitlichen und einer sachlichen Betroffenheit unterschieden wird. - ...nach dem Ausmaß der Abhängigkeit von den Manipulationen, Eingriffen und Leistungen der Verwaltung, nach Dringlichkeit und Dauer der Eingriffe und Leistungen, nach der Auswahl an Alternativen, nach der Unmittelbarkeit der Beziehung und nach dem Grad der Abhängigkeit der Verwaltung selber, Leistungen oder Manipulationen an diesem speziellen Bürger zu vollziehen. - ...nach dem Grad der Beteiligung des Bürgers wie als Empfänger von Leistungen, als Beschwerdeführer oder Zahlender. Auch hier gilt wieder, das Vermittler, Repräsentanten anderer Organisationen nicht in die Zielgruppe einbezogen werden. Dabei muß noch Rücksicht genommen werden auf die tatsächliche, faktische und die eingeschätzte Betroffenheit, Abhängigkeit etc. Kontaktverlauf: Hier wird an die schon in 3.2.5. angedeuteten Kategorien Kontaktformen ,Kontaktanlässe und Kontaktergebnisse angeknüpft. Als reduzierende Maßnahme wird nicht näher eingegangen auf die Kontaktvermeidung . Die Kontaktform kann zum einen mündlich sein. Eine face-to-face Beziehung oder Interaktion der Kontaktpartner ist dabei erforderlich. Andere Formen der Kommunikation wie die folgenden werden kaum in diesem Ansatz berücksichtigt. Der Kontakt kann telefonisch sein , was eine räumlichen Trennung impliziert oder der Kontakt kann schließlich schriftlich sein. Beim Kontaktanlass kann die Initiative vom Personal, einem Vermittler oder dem Klienten ausgehen. Die Art des Anlasses kann primär ein Eingriff der Verwaltung, eine Planungsentscheidung, eine Leistung oder eine Regelung sein. Endlich kann der Anlaß sich primär auf Personen oder materielle Gegebenheiten beziehen.

4.2. Präzisierung des Kontaktes

Diese dritte der Rahmenbedingungen, nämlich der Kontakt als solcher innerhalb der Kontaktgegebenheiten , muß noch präzisiert werden: Dazu muß eine Beschreibung des Handlungsbegriffs vorab gestellt werden: "Handeln wird bezeichnet als die subjektiv intendierte Veränderung der Relation des Handelnden zu seiner Umgebung" (GRUNOW 1978:54). Handlungen mit Hinblick auf die soziale Umgebung sollen als soziales Handeln bezeichnet werden , sie sind also intentional. Damit erstreckt sich dieser Handlungsbegriff nicht auf Verhalten analog dem Reiz-Reaktions-Schema. Es können Handlungsformen und Handlungstypen unterschieden werden. Handlungsformen: Das Handeln kann sich nur auf Sprechakte beziehen , also verbale Aspekte. Diese Handlungsform bildet in dieser Beschreibung der Interaktion den Schwerpunkt . Dagegen wird die nonverbale Kommunikation, also die Körpersprache , sowie nonverbales akustisches Handeln nicht berücksichtigt. Handlungstypen: Hier unterscheidet GRUNOW Handeln nach vier Kriterien (GRUNOW 1978 : 56): Instrumentell soll ein Handeln heißen, das unmittelbar auf die Erreichung eines Zieles gerichtet ist. Handeln ist dagegen expressiv , wenn es unmittelbar Gefühle oder Bedürfnisse ausdrückt. Handeln kann themenzentriert - in diesem Zusammenhang auf den Kontaktanlass - oder nicht-themenzentriert , also vom Hauptthema abschweifend sein. Zum dritten kann Handeln aktiv oder reaktiv bezogen auf die Initiative der Interaktionspartner sein. Und als letztes kann kommunikativ auf die bloßen Inhalte oder metakommunikativ auf die zwischen den Interaktionspartnern vorausgesetzte Beziehung bezogen gehandelt werden. Die hier intendierte analytische Rekonstruktion der Kontaktgegebenheiten ist als Ansammlung von Handlungen oder Handlungsgefüge zu charakterisieren. Die komplexe Rekonstruktion synchroner oder diachroner Handlungsverläufe in der Interaktion soll Interaktionsgefüge heißen.

4.3. Die Erklärungsschichten

Andere Aspekte der Kontaktsituation sind Variablensets, die hier als Erklärungsschichten bezeichnet werden und die in Teil 3 schon anklangen. Es lassen sich vier Typen von Folgen oder Konsequenzen aus einem Interaktionsgefüge finden, die als Relationen zwischen den vier Problemebenen charakterisiert werden: In der Relation zwischen der Problemebene der Interaktion und der Problemebene Gesellschaft kann das Interaktionsgefüge Folgen für andere bürokratische Dilemmata haben. Ist z.B. gerade ein spezielles Interaktionsgefüge innerhalb eines bestimmten Behördenzweiges problematisch oder als eine Form von Dilemmata zu diagnostizieren, kann das zu Dilemmatas auf einer anderen Ebene wie Unzufriedenheit mit dem Staat oder ähnlichen negativen Folgen führen. Beim nächsten Typ kann aus dem Interaktionsgefüge in der Relation Interaktion-Organisation z.B. eine Reorganisation einer bestimmten Behörde erwachsen. Zentral für das behandelte Thema sind aber die Folgen des Interaktionsgefüges, die sich aus den verbleibenden Relationen ergeben. Zum einen ist da in der Relation Interaktion-Interaktion die auf eine spezifische Handlung bezogene Folgehandlung. Noch wichtiger aber sind die Folgen des Interaktionsgefüges für die Personen, weil sie z.B. durch ein materielles Ergebnis die Ausgangslage für die nächste Interaktion oder gar die Voraussetzung für weitere Kontaktaufnahmen verändern . Die Frage ist nun, welche dem Interaktionsgefüge zugrundeliegenden Faktoren in welchem Maße den Geschehensverlauf und seine Folgen erklären. Dabei greift GRUNOW auf die Erklärungsschichten Erwartungsmuster Persönlichkeitsaspekte, Ressourcenverteilung und räumlich / zeitliche Konstellationen zurück.
4.3.1. Erwartungsmuster
Erwartungsmuster liegen den Handlungsmustern zugrunde und können einfach als Erwartung, daß ein bestimmtes Ereignis in der Umgebung des Handelnden eintreten wird, gekennzeichnet werden. Beziehen sich diese Erwartungen auf das Handeln anderer Personen, spricht man von sozialen Erwartungen. Diese Erwartungen manifestieren sich in Rollen. Um diese Schicht zu präzisieren, führt GRUNOW drei verschiedene Kriterien ein , nach denen Erwartungen klassifiziert werden können. Diese Erwartungstypen sind bereits in Teil 3 erwähnt worden. Das Ausmaß der Verbindlichkeit einzelner Erwartungen wird gekennzeichnet durch die Kenntnis der Person über das Maß an Normiertheit oder durch die Existenz rechtlicher Normen. Die Generalisiertheit der Erwartungen beinhaltet "...das Ausmaß der Situationsabhängigkeit der Erwartungen...in sozialer, in sachlicher und in zeitlicher Hinsicht..." (GRUNOW 1978:69). Bei starker Generalisiertheit kommt es z.B. zu Stereotypenbildung wie maskenhaftes Lächeln u.ä. Ein weiterer Typus von Erwartungen richtet sich nach dem Grad der Formalität: "Formalisiert sollen Erwartungen dann heißen, wenn mit ihrer Erfüllung oder Nichterfüllung die Mitgliedschaftsfrage gestellt wird." (GRUNOW 1978:70). Diese Erwartung ist vorerst in der Regel auf das Personal beschränkt, da das Publikum als Nichtmitglied der Organisation meistens formalisierte Erwartungen hinsichtlich des Handelns im Interaktionsprozeß wegen mangelnder Kenntnis nicht erfüllen kann. Hier zeigt sich schon ein strukturell angelegter Bruch in den Erwartungen auf Seiten des Personals einerseits und auf Seiten des Publikums andererseits. Die Kombination dieser Typen formt spezifische, individuell verschiedene Erwartungsbündel, die zu der Rolle z.B. als Leistungsempfänger oder Kontrollbeamter korrespondieren. Mit Hilfe dieser Erwartungsschicht allein können die bei gleichen Randbedingungen unterschiedlichen Handlungen offensichtlich noch nicht erklärt werden. Die Erklärungskraft der soziologischen Erwartungsmuster hinsichtlich der Interaktionsmuster ist also begrenzt. Zur Interpretation der Regelhaftigkeiten muß neben der durch Normen und Erwartungen gekennzeichneten soziologischen Perspektive nun auch eine durch Persönlichkeitsmerkmale konstituierte psychologische Perspektive treten.
4.3.2. Persönlichkeitsmerkmale
GRUNOW unterscheidet hinsichtlich des Handelns der Person dispositionale und motivationale Elemente. Die dispositionalen Elemente umfassen angeborene oder erlernte Bereitschaften des Individuums, Verhalten- und Handlungsweisen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln, während dispositionale Elemente Strebungen und Antriebe beinhalten, bestimmte Verhaltens- und Handlungsweisen zu aktualisieren. Auf Begriffe gebracht, handelt es sich dabei um die Handlungsfähigkeit und die Handlungsbereitschaft einer Person. Handlungsfähigkeit: GRUNOW betrachtet hier vier Aspekte als erklärungsrelevant für die Interaktion und die Interaktionsfolgen: Perzeptions- und Kognitionsmuster, Einstellungsmuster , Ambiguitätstoleranz und kommunikative Kompetenz. Perzeptions- und Kognitionsmuster: Für die Analyse des Kontaktes sind in der Perzeption drei Abstraktionsebenen der Wahrnehmung zu beachten: Die allgemeine Aufnahme von Informationen in der Kontaktsituation mit der Wahrnehmung von räumlichen, zeitlichen, und rechtlichen Gegebenheiten, spezifische Formen sozialer Wahrnehmung bezogen auf situative und soziale Aspekte, z.B. in der selektiven Wahrnehmung der Persönlichkeit des anderen. Die wichtigste Perzeptionsebene dürfte aber die Personenwahrnehmung sein, die sich zum Beispiel in negativen Assoziationen äußern kann. Im Rahmen der Kognition dürfte die kognitive Komplexität als Maß für die kognitive Verarbeitungskapazität und die damit verbundenen differenzierteren Einschätzungen anderer Personen und der Antizipation von deren Handlungen wichtig sein. Einstellungsmuster: Dies bezieht sich vor allem auf affektive Einstellungen gegenüber Objekten oder Personen. Z.B. regt sich ein Beamter darüber auf, daß der Klient nicht anklopft Wichtig erscheint GRUNOW hier vor allem die Wechselwirkung zwischen affektiven Einstellungsmustern und Handlungsmustern bzw. wie letztere sich aufgrund ersterer verändern. Ambiguitätstoleranz: Dies bezeichnet das Maß an Toleranz, daß eine Person gegenüber Widersprüchlichkeiten oder Vieldeutigkeit von Erwartungen aufbringen kann. Kommunikative Kompetenz: Kommunikative Kompetenz wird hier verstanden als die Fähigkeit zur Schaffung von kommunikativen Prozessen und Handlungen, wobei der Schwerpunkt sicherlich auf den verbalen Fähigkeiten der Person liegt. Handlungsbereitschaft: Neben der Handlungsfähigkeit als einer personenbezogenen Befähigung, Handlungsprozesse und Handlungsmuster zu produzieren, steht die Handlungsbereitschaft für eine individuelle Motivation, um intentional überhaupt auf Prozesse und Muster zuzusteuern. GRUNOW unterscheidet vier relevante Aspekte der Handlungsbereitschaft: Bedürfnislage, Bezugsgruppenorientierung, allgemeine Orientierungen bzw. Entfremdung und Rollendistanz. Bei der Bedürfnislage geht GRUNOW aus Gründen der Reduktion und wegen Schwierigkeiten, nicht rechtliche Bedürfnislagen konzeptionell zu erfassen , von den rechtlich definierten Abhängigkeiten und Betroffenheiten aus, d.h. von Kontakten, die a priori jenseits der individuellen Bedürfnisse schon festgeschrieben sind . Ähnliches wie o.g. gilt für die Bezugsgruppenorientierung als Veranlassungsfaktor für den Kontakt, wobei immerhin die Person individuell noch die Orientierungsperspektive wählt. So könnte ein Beamter als Klient ein belastendes Ergebnis einer Interaktion durch Orientierung an der Bezugsgruppe seines Berufes als weniger demotivierend für die nächste Kontaktaufnahme erleben als ein 'normaler Bürger' , der sich auf die Gruppe von Bekannten bezieht, die auch schlechte Erfahrungen gemacht haben. Allgemeine Orientierungen handelt GRUNOW - gestützt auf Konzepte von Seeman und Goffman - unter dem Konzept der Entfremdung ab. Besonderes Gewicht legt er dabei auf Machtlosigkeit als Aspekt der Entfremdung: Machtlosigkeit wird dabei gekennzeichnet als das subjektive Gefühl des Klienten oder Personalmitglieds, das Ergebnis seiner Absichten und Handlungen nicht genügend oder gar nicht beeinflussen zu können. Als weitere , aber weniger wichtige Aspekte nennt GRUNOW in diesem Zusammenhang Normenlosigkeit, Sinnlosigkeit, Isoliertheit und Selbstentfremdung. Der vierte Aspekt der Handlungsbereitschaft ist die Rollendistanz, also die Divergenz zwischen Rollenerwartungen und tatsächlichem Rollenverhalten. GRUNOW nennt hier als Beispiel , das "nur noch ein geheucheltes Engagement die Aufrechterhaltung der Interaktion ermöglicht" (GRUNOW 1978:100) und erwähnt noch zwei mögliche Anwendungen dieses in der Soziologie uneinheitlich verwendeten Begriffes (Fuchs 1988:653): Im ersten Fall wird Rollendistanz als eine Distanzierung von Positionspflichten verstanden, im zweiten als die Thematisierung der zu der aktuellen Rolle gehörenden Ich-Leistungen.
4.3.3. Ressourcenverteilung
Unter der Verteilung der Ressourcen wird hier verstanden "...zumindest potentiell verfügbare Mittel..., die den am Interaktionsprozeß beteiligten Personen unabhängig von den Nuancen der Interaktion selbst zur Verfügung stehen" (GRUNOW 1978:104). Bevor die Ressourcen näher präzisiert werden, soll noch als wichtig festgehalten werden, daß sie auf Seiten von Publikum und Personal symmetrisch oder asymmetrisch verteilt sein können, ohne das a priori - außer im rechtlichen Rahmen - daraus ein festes Muster abgeleitet werden kann. Die Ressource der personellen Mittel umfaßt sowohl die eingebrachte Identität als auch die Möglichkeit, über andere Personen zu verfügen. Informationen können Daten über die Ressourcen des Interaktionspartners oder Dritter sein, Wissen über die zur Verfügung stehenden Rechte oder Informationen über die organisatorischen Strukturen, innerhalb derer die Interaktion stattfindet. Technologien als Ressourcen umfaßt materielle Hilfsmittel wie Computer oder Möbel. Materielle und finanzielle Mittel bezeichnet die im Rahmen der Interaktion zur Disposition stehenden Gelder ,z.B. auch Bestechungszahlungen. Als besonders wichtig erscheint die Ressource der Entscheidungskompetenz, die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten einschließt.
4.3.4. Räumlich-technische / zeitliche Gegebenheiten des Kontaktes
Zum einen ist damit der lokale Rahmen wie z.B. Dienstzimmer oder ein Lokaltermin, innerhalb dessen die Interaktion abläuft, gemeint. Ein anderer Aspekt dieser Erklärungsschicht besteht aber auch in den sachlich/technologischen Gegebenheiten wie z.B. die Beschaffenheit der Türen, Größe des Wartezimmers oder auch einem Telefon . Der wichtigste Aspekt dieser Analyseschicht liegt für GRUNOW in der Zeitkonstellation der Interaktion: Es sind z.B. Wartezeiten für das Publikum, die Dienstzeit des Bearbeiters bis zur Interaktion oder Häufigkeit der bisherigen Kontakte zu erfassen.

4.4. Die Analysedimensionen

GRUNOW hat bislang "vertikale Verknüpfungen" (GRUNOW 1978:110) untersucht. Nun sollen im Rahmen eines zweiten Variablensets oder sogenannter Analysedimensionen die Einzelperspektiven ins Verhältnis gesetzt werden. Diese Dimensionen erfassen Elemente aus allen Erklärungsschichten und beziehen die Perspektiven aufeinander. Man könnte sie auch allgemein als Komponenten bezeichnen, mit deren Ausprägung die Art des Kontaktes variiert (GRUNOW 1972:214). Es handelt sich um die Dimensionen Macht , Wissen , Situationsgegebenheiten und Interaktionsgegebenheiten Diese Dimensionen haben , um dies noch einmal zu betonen, eine eingeschätzte und eine faktische Ausprägung . Bei der faktischen Ebene handelt es sich um wissenschaftlich und damit empirisch rekonstruierbare tatsächliche Gegebenheit, die z.B. meßbar oder materiell objektiv vorhanden ist . Bei der eingeschätzten Ebene handelt es sich um die subjektive Einschätzungen von Personal oder Publikum , auf der in dieser Untersuchung der Schwerpunkt liegt. Somit stellt sich das Problemfeld folgendermaßen dar: Abb.1 (Aus : GRUNOW 1978:114)
4.4.1. Macht als Analysedimension
GRUNOW unterscheidet auf der faktischen Ebene zwischen dem Machtpotential einer Person zur Durchsetzung oder Kontrolle und Macht als Kommunikationsmedium. Das erste Konstrukt hat einen statischen Charakter, während das zweite auf die dynamische Funktion der Macht in der Interaktion abzielt. Macht kann dort interpretiert werden als ein Medium, das motiviert, auf oder durch Handlungen zu reagieren (GRUNOW 1972: 215). In der Relation zwischen Publikum und Personal kann eine solche faktische und eingeschätzte Machtverteilung beobachtet werden . Auf der Ebene der subjektiven Einschätzung der Machtverteilung und Handlungsoptionen aufgrund der Macht wird eine Verwendung des Konstruktes erst sinnvoll oder auch besonders relevant, wenn diese Machtdifferenzen aus der Sicht der Relation Publikum-Personal beleuchtet werden und im Kontext einer sozialen Beziehung begriffen werden. Die besonders relevante Dimension besteht in den faktischen Machtdifferenzen, der eingeschätzten Machtdifferenz und den unterschiedlichen Einschätzungen auf beiden Seiten.
4.4.2. Wissen als Analysedimension
Bei dem Wissens- und Informationsbestand der an der Interaktion beteiligten Personen handelt es sich um eine der wichtigsten und aussagekräftigsten Analysedimensionen .Der Wissensbestand ist zu verstehen als die Menge kognitiver Elemente bezüglich der Abwicklung der Kontakte Bürger-Verwaltung, über die eine Person, eine Abteilung oder eine Behörde zum Zeitpunkt des Kontaktes verfügt. Zwei grundlegende Typen von Wissenselementen werden unterschieden: Das institutionell-generelle Wissen als eine eher allgemeinere Form des Wissens über die Verwaltung, Aufbau und Struktur, und das instrumentell-funktionelle Wissen, daß speziellen Handlungen als Grundlage dient. Eine weitere , wichtigere Unterscheidung besteht zwischen dem aktuellen, also in der Kontaktsituation unmittelbar verfügbarem Wissen und dem potentiellen Wissen, also das Wissen , auf das man mittelbar z.B. durch Befragen oder Bücher Zugriff hat. Wieder wird hier zwischen der faktischen Ebene der tatsächlich verfügbaren Informationen, der Einschätzung um das Wissen seitens der Personen und der Differenz der Einschätzungen in der Relation Publikum und Personal unterschieden. Die besonders relevante Dimension besteht in den Wissensunterschieden, deren Einschätzungen und den Diskrepanzen zwischen den Einschätzungen bei Personal und Publikum.
4.4.3. Situationsgegebenheiten als Analysedimension
Unter Situationsgegebenheiten versteht GRUNOW "alle im und während des Kontaktes (d.h. in einem räumlich-zeitlichen Rahmen )... vorhandenen überwiegend invarianten Elemente" (GRUNOW 1978:119). Diese Dimension umschließt auf der faktischen Ebene so ziemlich alle materiellen und immateriellen Gegebenheiten der Kontaktsituation außer den Handlungen. Das sind z.B. Attribute von Personen, Kleidung, das ein bestimmtes Verfahren repräsentierende Formular etc. Auf der eingeschätzten Ebene der Situationsgegebenheiten führt GRUNOW das Konstrukt der Situationsdefinitionen ein, die als relativ stabile Erwartungsmuster vorstellbar sind. Die besonders relevante Dimension besteht in den unterschiedlich komplexen Situationsgegebenheiten und der Divergenz der sich auf diese Situationsgegebenheiten richtenden unterschiedlichen Situationsdefinitionen von Bearbeiter und Klient.
4.4.4. Interaktionselemente als Analysedimension
Diese letzte Dimension berücksichtigt die Tatsache, daß Interaktionen Aneinanderreihungen von Handlungen darstellen und somit eine Handlung eine Folgehandlung auslösen kann. Dies umschließt konkrete Erwartungen oder Einschätzungen eigener Handlungsmöglichkeiten auf Basis der vorhergehenden Handlung, sozusagen ein schnelle Neudefinition der Handlungsdispositionen. Dabei treten in der Relation Einschätzungen auch über das Handlungsrepertoire bzw. die Handlungskontingenzen des Gegenüber auf. Die besonders relevante Dimension in der Relation Publikum- Personal betrifft also die" Unterschiede in den Handlungsrepertoires und der damit verbundenen Kontingenzen in den konkreten Erwartungen" (GRUNOW 1978:122).

5. Die Verknüpfungsmechanismen

In Teil 3 hatte ich bereits Mechanismen wie etwa die administrative Publikumsrolle im Teilverhältnis Organisation - Publikum in ihrer Funktion zur Verknüpfung der Perspektiven kurz vorgestellt. In diesem Teil will ich auf die Mechanismen eingehen, die - vereinfacht gesagt - im Teilverhältnis Publikum - Personal die Interaktion überhaupt erst konstituieren und aufrechterhalten. Das Problem zuvor ist , Interaktion oder den Interaktionsprozeß noch einmal genau abzugrenzen. GRUNOW (1978:142) weist darauf hin , daß jede mündliche face-to-face Beziehung zwischen Klient und Bearbeiter als ein Handlungs- oder dynamisches Interaktionssystem im behandelten Sinne aufgefaßt werden kann, selbst wenn im Extremfall die Interagierenden zwei verschiedene Sprachen sprechen und vollkommen aneinander vorbei kommunizieren. Deswegen werden Interaktionen nur als Interaktionssysteme aufgefaßt, wenn sie drei Kriterien genügen: Im Interaktionsprozeß müßen Grenzen geschaffen werden bzw. schon vorhanden sein, es müßen Regelhaftigkeiten entwickelt werden bzw. schon vorhanden sein und es muß Eigendynamik innerhalb des Prozesses möglich sein. Anhand der in Teil 4 eingeführten besonders relevanten Analysedimensionen sollen diese Anforderungen konkret gemacht werden. Bei der Einschätzung von Machtverteilungen bedeutet Grenzziehung die Existenz oder Entwicklung von Vereinbarungen über erlaubte oder unerlaubte Sanktionen, Manipulationen, Kontrollen oder Entscheidungen. Regelhaftigkeit bedeutet bei der Einschätzung von Machtverteilungen, daß die erlaubten Sanktionen etc. mit angemessenen Mitteln durchgesetzt werden und Eigendynamik weist auf Diskontinuitäten in der Einschätzung und damit auf Konflikte hin. Bei der Einschätzung von Wissens - und Informationsbeständen bedeutet Grenzziehung Konsense der Interaktionspartner über Wissensbestände. Regelhaftigkeit impliziert, daß diese Wissensbestände übereinstimmend auf einen bestimmten Kontext bezogen sind. Eigendynamik z.B. wäre, wenn Widersprüche in den o.g. Wissensbeständen zu Veränderungen hinsichtlich der "Normen der Wissenswürdigkeit" (GRUNOW 1978: 150) führen würden . Innerhalb der Analysedimension der Einschätzung der Situationsgegebenheiten bedeutet Grenzziehung Konsense der Zulässigkeit hinsichtlich zeitlicher, materieller oder personeller Gegebenheiten. Diese Gegebenheiten sind aber nur nach bestimmten Regeln zulässig, die aber - in der Eigendynamik der Einschätzungen - plötzlich nicht mehr gelten, z.B. weil ein Bearbeiter selber 'Opfer' einer bisher als zulässig beurteilten 'Regel' wird. Grenzziehung innerhalb der Einschätzung von Interaktionselementen bedeutet z.B. Konsense der Interaktionspartner über zugelassene Themen, Wahrnehmungen und Erwartungen. Die Bearbeitung z.B. wird nach gewissen Regeln in einer gewissen von beiden anerkannten Reihenfolge abgewickelt. Eigendynamik heißt hier, daß z.B. eine an sich nicht zugelassene Wahrnehmung durch einen plötzlichen Einfluß von innen oder außen zulässig wird. Mechanismen, die diese drei Kriterien optimieren und damit die Entwicklung der Interaktion zu einem Interaktionssystem im o.g. Sinne, leisten nicht nur die Verknüpfung des Teilverhältnisses Personal - Publikum im systematischen Sinne, sondern - so spekuliert GRUNOW (1978:55) - sie optimieren auch die 'Leidens-Verteilung' in der Beziehung. Es handelt sich bei diesen Mechanismen um die Bereitschaften zur Kommunikation, zum Lernen und zur Toleranz. Als Mechanismus insbesondere der Grenzziehung zur Selektion z.B. von Handlungen, Perzeptionen und Normen wird Kommunikationsbereitschaft als die Fähigkeit und Bereitschaft verstanden, auf die kommunikativen Akte anderer einzugehen und selbst zu kommunizieren. Wo z.B. dieser Mechanismus mangelhaft auftritt, kommt es bei Sprachbarrieren zwischen Bürgern und Personal infolge mangelnder Bereitschaft eventuell gar nicht zu einem Interaktionssystem. Als Lernbereitschaften versteht GRUNOW die Fähigkeit und Motivation einer Person, aus Interaktionen heraus und durch die Perzeption dieser Interaktionen zu dauer- und regelhaften Veränderungen des Handelns zu kommen. Dieser Mechanismus konstituiert vor allem die Regelhaftigkeit als genannte Anforderung an ein Interaktionssystem, aber als noch innerhalb einer Interaktion wirkender Mechanismus ist er ebenfalls wichtig für die Flexibilität und damit für die Eigendynamik innerhalb des Interaktionssystems. Als Bereitschaft zur Toleranz wird die Fähigkeit und Bereitschaft der Personen verstanden, Widersprüche, Abweichungen von festen Erwartungen und Ambiguitäten zu ertragen bzw. trotz dieser Ereignisse innerhalb des Interaktionssystemes zu bleiben. Man kann vermuten, daß , je differenzierter und umfangreicher die persönlichen Grundlagen für diese Mechanismen vorhanden sind, die Interaktion - wo möglich - um so friktionsloser ablaufen wird. Wo Friktionen und Disfunktionen dilemmaartig ausgeprägt sind, tragen diese Mechanismen dazu bei, das Leiden an diesem Dilemma nicht nur besser zu ertragen , sondern auch 'gerechter' zu verteilen.

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