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Interne Strukturen und Funktionen der Organisation:

Koordination und Kommunikation

Auf der Basis eines mikroökonomischen Handlungskonzepts (Rational Choice) untersuchen MARCH / SIMON (1976) die Strukturen und internen Funktionen von Organisationen. Sie übertragen einen mikrosoziologischen Ansatz - Rational Choice - auf Organisationen und untersuchen seine Implikationen.

Grundlegende Prämissen diese Handlungskonzepts sind Nutzenmaximierung und Intentionalität.
Während die Betonung des zielgerichteten Handelns und eines subjektiven Rationalitätsbegriffs die Organisation bzw. das Organisationsmitglied der klassischen Organisationstheorie "emanzipiert", berücksichtigt das Konzept der begrenzten Rationalität ( bounded rationality ) die unvollkommene Informationsverarbeitung von Entscheidenden.

Rationalität ist definiert als Anpassung der Mittel an die Ziele.

In der wirtschaftswissenschaftlichen Tradition (PARETO) entschied der Beobachter, was rational sei oder nicht. Für SIMON dagegen ist rationales Handeln eine den subjektiven Präferenzen des Akteurs entsprechende Wahlentscheidung. Im Gegensatz zur Annahme perfekter Rationalität des Akteurs muß hier die realistische Annahme einer begrenzten Informationsverarbeitung des Akteurs treten.
Im folgenden die Annahmen der beiden Rationalitätsmodelle:

Perfekte Rationalität
(Klassisches Modell)
Begrenzte Rationalität
('bounded rationality')
Handlungsalternativen gegeben Suchprozeß, der selbst Teil des Modells ist
Entscheidung unter Gewißheit oder Risiko bezüglich Wert der Alternativen und Konsequenzen Entscheidung unter Ungewißheit bezüglich Konsequenzen
Klare Präferenzordnung Subjektive Nutzenfunktion (Definition der Situation)
Objektiv optimale Alternative wird gewählt Satisficing: Befriedigende Alternative

Der Akteur wählt also eher willkürlich - nach Definition der Situation - die Alternativen aus , die ihm am ehesten den Zielen angepasst zu sein scheinen. Die Suche nach Handlungsalternativen hat aber spätestens dann ein Ende, wenn die Kosten dieser Suche den Nutzen der Zielerreichung erreicht. Es werden folglich stets befriedigende Lösungen im Gegensatz zu optimalen Lösungen angestrebt.

Gerade wegen der Komplexität der Realität sind aber nicht nur die Suche und Wahl von Handlungsalternativen ein Produkt der subjektiven Situationsdefinition, sondern auch Ziele können sich in diesem Prozeß modifizieren.

Der Aufmerksamkeitsfokus von Individuen ist begrenzt und veränderlich. In Organisationen werden komplexe Ziele deswegen soweit in Subziele aufgeteilt, das die einzelnen Entscheidungsträger die Komplexität befriedigend bewältigen können. Diese Subziele - eigentlich ja Mittel zur Erreichung komplexerer Ziele - geraten für die entsprechenden Entscheidungsträger in den Aufmerksamkeitsfokus. Durch die natürlich bedingte "Scheuklappenwahrnehmung" können diese Subziele nun extreme Haltbarkeit und Hartnäckigkeit erreichen ( Mit besonderer Bedeutung für die Systemerhaltung ), so daß sie sogar im Widerspruch zu komplexeren Organisationszielen bestehen bleiben.

Da Akteure und Organisationen im Laufe der Zeit immer wieder mit ähnlichen Aufgaben bzw. Problemen ( Stimuli ) konfrontiert werden, bilden sich durch Lernprozeße bald Routinen heraus. Ein bekannter Stimulus kann eine Reaktion hervorrufen, deren Ablauf von Anfang bis Ende routinisiert ist. Andererseits kann ein völlig unbekannter Stimulus - für den noch keine Routine existiert - problemlösende Aktivität in größtem Ausmaß freisetzen.

Auf Stimuli wird innerhalb eines Kontinuums zwischen absoluter Routine und reiner problemlösender Aktivität reagiert. Für die meisten , selbst neue Stimuli gibt es normalerweise Routinen, die durch problemlösende Aktivität zusammengefügt, eine neue Routine ergeben. Das Design des Suchprozesses nach neuen Alternativen (und deren Konsequenzen) ist in der Regel selbst bereits als Routine entworfen.

SIMON/MARCH unterscheiden im Vorfeld der Probleme zwischen substantiellem Planen (Entwicklung neuer Ausführungsprogramme) und verfahrensmäßigem Planen ( Entwurf von Programmen für den Problemlösungsprozeß selbst ).

Programme als Ausführungsprogramme sind konditional: Wenn ein Stimulus hereinkommt, führen die Akteure , ohne länger darüber nachzudenken, eine bestimmte Reaktion aus. Problemlösende Aktivitäten sind eher zu einer Zweckprogrammierung assoziiert.

INHALTE, STRUKTUR , FUNKTION

Da der Ansatz von SIMON/MARCH ein "erklärender" soziologischer Ansatz ist, geht es ihnen natürlich vor allem um die Prognose von (Organisations-)verhalten. Sind Programme überaus routinisiert (also geplant), sind die Voraussetzungen für eine Prognose besser. Je mehr demzufolge eine individuelle Tätigkeit in einem Programm aufgelöst werden kann - und je kleiner die Handlungsfreiheit des Individuums ist - desto größer ist die Programmierbarkeit und desto größer ist die Prognostizierbarkeit. Die implizite Prognostizierbarkeit von Programmen erfüllen für die Organisation zwei wichtige Funktionen: Durch ihre Standardisierung ermöglichen sie eine Kontrolle (Berechenbarkeit) über die Organisationsmitglieder und sie ermöglichen Koordination zwischen den Subsystemen der Organisation durch gerade diese Berechenbarkeit. So variiert der Inhalt eines Programmes mit der Notwendigkeit der Koordination von Aktivitäten: Je größer die Notwendigkeit zur Koordination von Aktivitäten , desto genauer wird das Programm sein und desto geringeren Handlungsspielraum wird es dem Mitglied lassen. Im idealen Fall besteht die Struktur des Programmes aus einem einfachen Stimulus-Response: Das Programm wird hervorgerufen und läuft ab. Weder wird problemlösendes Denken gebraucht, noch hat das Mitglied (im Rahmen seiner Mitgliedsrolle) Handlungsfreiheit. Da aber Programme in ihrer Struktur als Ergebnis eines ' satisficing' (und nicht optimizing) offensichtlich nicht optimal sind, verbleiben in der Regel Handlungsfreiheiten - besonders bei komplexen Programmen. Ist ein Programm mit einem Suchprozeß verbunden, ist die resultierende Handlungsweise vom Suchergebnis abhängig. Die Wahl dieser Handlungsweise bezeichnen SIMON/MARCH bereits als Handlungsfreiheit. Gibt ein Programm eine Strategie (nicht direkt an den Stimulus gebunden) zur Erreichung eines Ziels an, ist die Anwendung dieser Strategie (z.B. Rückgriff auf Verkaufsprognosen) im Rahmen der Handlungsfreiheit. Wesentlich vor allem ist auch, daß zwar Programme formal vorgeschrieben sein können, daß die Handlung aber immer aus der subjektiven Definition der Situation des Handelnden gespeist wird, der seine 'eigene' Routine im Kopf hat. Und natürlich hat der Handelnde in den Programmen Handlungsfreiheit, in denen nur eine Ziel angegeben ist, in dem aber die Problemlösung weitgehend unroutinisiert ist (Zweckprogrammierung) Koordination. Die Programme in einer Organisation sind sozusagen 'horizontal' und 'vertikal' miteinander vernetzt: Vertikal müssen sie insoweit miteinander koordiniert werden, daß ein von außen kommender Stimulus nicht alle Ressourcen der Programme auf sich zieht (und damit interdependente Programme 'lähmt'), was bei einer theoretischen Optimierung der Fall wäre. Bei 'befriedigenden' Aktivitäten kann aber ein ebenso 'befriedigender' Standard gesetzt werden, der Ressourcen offenläßt und damit die Interdependenz der Programme nicht total macht. Horizontal hängen die Programme in der Form zusammen, daß sie sich hierachisch zueinander verhalten: So können Programme die Funktion haben, Programme auf einer 'niedrigeren Ebene' zu modifizieren oder sie miteinander zu rekombinieren etc. Die hierachische Beziehung zwischen Organisationsmitgliedern und Programmelementen ähneln sich gewöhnlich. Höhere Ebenen sind in der Regel im Sinne der bounded Rationality mit der Rekombination von Routinen oder Programmen beschäftigt, ohne tatsächlich im Sinne der Problemlösung neue Programme niedrigerer Ebenen zu entwerfen. Offensichtlich ist damit problemlösendes Denken - in dem Sinne , wie es allgemein beschrieben wird, im "Herz" bzw. auf der höheren Ebene der Organisation seltener anzutreffen, da die von hier ausgehenden "Rekombinationsprogramme" aufgrund der Komplexität nicht genaueste Anweisungen für jedes kleine Unterprogramm geben können. Es ist klar, daß Organisationen dazu neigen, sich in ihren Unterprogrammen zunehmend zu spezialisieren und - wenn man von stabilen Randbedingungen ausgeht - die Subprogramme zunehmend Prognosen zulassen, selbst wenn man berücksichtigt, daß sich diese Subprogramme in Interdependenz zueinander befinden. Je mehr aber die Ausführung der Programme auf Kontingenzen beruht, desto mehr müssen Organisationen Mittel finden, die Stabilität der Umwelt zu erhöhen. Deswegen sind Standardisierungen von Situationen (analog Definition der Situation) für Organisationen von größter Bedeutung. Diese Standardisierungen müßen (können) im Rahmen einer Gesamtplanung wiederum koordiniert werden. Entgegen der Prognose der Gesamtplanung auftretende Kontingenzen müßen durch Kommunikation aufgefangen (Koordination durch Feedback) werden.

KOMMUNIKATION

Je größer die Kapazität einer Organisation bezüglich der zur Koordination benötigten Kommunikation ist, um so besser kann sie ihre interdependente Programmstruktur erhalten bzw. die Programme zu koordinieren. Da die Koordination von Subeinheiten der Organisation in der Regel bereits in den Programmen berücksichtigt wird (Koordination durch Planung), kann man hier Kommuikationsressourcen sparen. Auch die Erhöhung der Effizienz der Kommunikation (durch Symbole, Abkürzungen, Techniksprachen, Klassifizierungen) spart Kommunikationsressourcen, während auf der anderen Seite durch die Reduktion des Modells der Realität in formaler Hinsicht (Regeln) vereinfacht wird:
- durch ein Repertoire von standarsisierten Reaktionen auf Stimuli -Klassifikation programmauslösender Situationen
- durch Regeln für die Bestimmung der Reaktionen für Situationen(Alles im Sinne einer Reduktion der Komplexität)
Klassifikationen haben jedoch Folgen: Zu kommunizierende Informationen (die z.B. auch von außen kommen) müßen, um Ungewißheit zu absorbieren, ebenfalls klassifiziert werden. Die Klassifizierung beginnt an den Grenzen des Kommunikationssystems und wird am ehesten natürlich von Mitgliedern, die "Kontakt mit der Realität haben" (Grenzstellen) zusammengefaßt und weitergegeben. Diese Leute müßen dementsprechend Handlungsfreiheiten und auch eine gewisse Machtposition haben. Informationen , aus denen Voraussetzungen für die gesamte Organisation abgeleitet werden, müßen natürlich an irgendeiner Stelle noch als solche "legitimisiert" werden. Je komplexer nun die einzubringende Datenmenge ist und je weniger adäquat eine Techniksprache ist, desto näher wird die Absorption der Ungewißheit an der Quelle stattfinden. Kommunikationskanäle für die Koordination sind z.T. schon in den Programmen enthalten, z.T. entwickeln sie sich durch Gebrauch (Resultat von brauchbarer Illegalität). Ist der Kanal erst einmal eingefahren, wird er selbstverstärkend immer häufiger - auch zweckentfremdet, sogar für informelle Beziehungen - gebraucht.

ZUSAMMENFASSUNG UND IMPLIKATIONEN

Organisationen müßen, um beschränkter Informationsverarbeitung und der Entscheidung unter Ungewißheit Rechnung zu tragen, Adaptivität bzw. Regeln und Standards entwickeln. Um Kontingenzen abzupuffern (z.B. Datenmengen), muß zum einen Komplexität reduziert werden. Zum anderen muß Ungewißheit absorbiert werden, damit die Organisation überhaupt funktionsfähig ist

Literatur:

J.G.MARCH, H.SIMON "Kognitive Grenzen der Rationalität" , In: 'Organisation und Individuum', Wiesbaden 1976, Kapitel 6, S.129-159

 Soziologie
Soziologie. Allgemeine Grundlagen.
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