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 Jack the Ripper. Anatomie einer Legende Jack the Ripper. Anatomie einer Legende
von Hendrik Püstow und Thomas Schachner
Sprache: Deutsch
Gebunden - 256 Seiten - Militzke

Erscheinungsdatum:1. Februar 2006
Der getauschte Tod
Eine Novelle von Thomas Siebe
Sprache: Deutsch
E-Book - 63 Seiten - 2 € bei xinxii.com
Erscheinungsdatum: Februar 2008
England 1789 : Ein Freibeuter und ein Betrüger tauschen die Identität. Einer der Männer verbirgt einen Schatz, der andere ein dunkles Geheimnis. Während für den einen am Ende der Galgen steht, findet sich der andere bei seiner Deportation nach Australien inmitten der Schiffskatastrophe der GUARDIAN wieder, kämpft mit Kapitän James Riou ums Überleben, muß einen Schatz verteidigen und seinen Ausbruch planen.

 Der getauschte Tod von Thomas Siebe


Der historische Jack the Ripper

von Thomas Siebe
www.siebe.tk

Das viktorianische London im Herbst 1888: Eine Serie von Frauenmorden, begangen im Armenviertel Whitechapel, erregt die Öffentlichkeit. Politische Unruhe im Lande bzw. in London selbst, die gerade aufblühende Presselandschaft (Yellow Press) und die immer offensichtlicher werdende Hilflosigkeit der Polizei gegen den Typus des anonymen Serienmörders begünstigen ein Klima der Angst und der Hysterie, das später einen Mythos schaffen wird, der bis heute an Popularität nicht eingebüßt hat.

Begründet wurde der Mythos des Monsters Jack the Ripper vor allem durch die Presse, die nicht nur so intensiv wie nie zuvor über eine Mordserie berichtete, sondern auch durch Verfälschungen, Erfindungen und selbst Manipulationen das Klima der Angst in London schürte. Als bestes Beispiel für die Manipulationen der Zeitungsleute gelten erfundene oder gefälschte Briefe, die angeblich vom Mörder selbst stammen sollten.

Der historische Mordfall Jack the Ripper ist deswegen auch interessant für die Geschichte der Massenmedien, ihre Wirkung und für die Rahmenbedingungen, denen sie unterworfen sind. Der Mörder war zwar real, aber das Phänomen Jack the Ripper wurde von den zeitgenössischen Printmedien konstruiert. Manchem Soziologen bzw. Kriminologen gilt der Ripper als aufkommender Typus des Serienmörders wiederum als Phänomen von Urbanisierungsprozessen. Die einfache Formel: Urbanisierung - Industrialisierung - Anonymität - psychopathische Serienkiller ! Sei´s drum...

Im Verlauf eines Jahrhunderts haben Romanautoren wie z.B. der Sherlock Holmes-Erfinder Conan Doyle, Filmemacher wie z.B. Hitchcock ("Der Mieter") und die Presse den Mythos kultiviert und weiterentwickelt. In Wedekinds Drama "Die Büchse der Pandora" findet Jack the Ripper seinen Weg sogar auf die Bühne des internationalen Theaters. Nun hat sich erneut die Phantasie von Hollywood an dem Londoner Monster entzündet: "From Hell" nach einem Comic-Roman von Alan Moore heißt der Kassenknüller mit Jonny Depp - Jack the Ripper ist der Star, wie schon oft zuvor.


Inzwischen ist die Erfolgsautorin Patricia Cornwell mit ihrem Buch Wer war Jack the Ripper? Porträt eines Killers auf den Zug aufgesprungen und hat versucht, dem Monster erneut ein Gesicht zu geben.

Patricia Cornwell:  Wer war Jack the Ripper? Porträt eines Killers.

Das Gesicht, daß Cornwells Heldin, die Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta enthüllt, ist aber so frisch nicht. Die Walter-Sickert-Theorie ist schon einige Jahrzehnte alt. Immerhin erscheinen die Recherchen Cornwells sehr anspruchsvoll, wenngleich das Echo auf ihre Belege sehr geteilt war. Zumindest gelingt es ihr aber, einen realistischen Eindruck vom London der Ripperzeit zu zeichnen, was mehr ist als so mancher schreibende Ripper-Theoretiker von sich behaupten kann. Und Cornwell versucht zumindest nicht, unbestreitbare Fakten und Abläufe so zu "quetschen", daß sie in den Kram passen.


Selten nämlich wurden die Geschehnisse annähernd so dargestellt, wie sie sich nachweisbar wirklich zugetragen haben. Aus dem Ripper wurde einerseits ein Synonym für den Serienmörder schlechthin, andererseits eine romantisch verzerrte Kunstfigur, nicht zuletzt auch eine Touristenattraktion in London - tatsächlich war er schließlich "nur" ein Sexualmörder bzw. ein armseliges Stück Mensch mit einem abnormen Frauenhaß.

Die von Armut und Krankheit gezeichneten Opfer entwickelten sich in der Legende zu professionellen Huren, ihre Zahl nahm mit der Legendenbildung zu, die mit dem Fall befassten und letztlich erfolglosen Polizisten wuchsen in der Fiktion zu Helden, die am Ende den Ripper zur Strecke brachten ... was aber durch irgendeinen Umstand nicht bekannt wurde oder werden durfte. Tatsächlich aber wurde der zuerst als "Whitechapel-Mörder" oder auch "Leatherapron" (Lederschürze) bezeichnete Killer nie gefasst.

Der Mythos konnte sich deswegen begründen, weil man bis heute über den Whitechapel-Mörder wahrscheinlich noch weniger weiß als die erfolglose Polizei des viktorianischen England in Erfahrung gebracht haben mag - damit war der Raum für Spekulationen weit geöffnet. Denn die meisten Dokumente über diesen Fall bzw. die mit diesem Fall in Verbindung standen sind beim Übergang von Scotland Yard zu New Scotland Yard verschwunden.

Die heutigen Theorien und Spekulationen leiden nicht selten unter erheblichen logischen Zirkeln: Eine Hypothese wird auf extrem dünne Datenbasis gestellt, daraus folgt eine andere Hypothese, ebenfalls nur dünn begründet. Aus dieser zweiten Hypothese wird Material gewonnen, das die dünne Beweisschicht, auf der Hypothese Nummer eins steht, künstlich verstärkt. Tatsächlich gibt es in diesem Fall kaum etwas, was als bewiesen gelten kann. Und es ist lange her...

Und damit zu den historischen Fakten:

Die Mehrheit der Ripper-Forscher geht davon aus, daß die Mordserie vom 31. August 1888 bis zum 9. November 1888 dauerte. In diesem Zeitraum soll Jack the Ripper in Whitechapel mindestens 3, höchstens aber 5 Frauen getötet haben.

Im Verlaufe der letzten 114 Jahre sind bis zu zwei Dutzend Personen als Jack the Ripper verdächtigt worden, verschlungene Verschwörungstheorien wurden konstruiert (Beispiel: Der Film "From Hell"), u.a. sind sogar Angehörige bzw. Bedienstete des englischen Königshauses mit der Person des Serienmörders in Verbindung gebracht worden. Bis zum heutigen Tage sind jedoch nur noch zwei wirklich ernsthafte Verdächtige übrig geblieben bzw. neu entdeckt worden. Ein deutscher Haftrichter würde jedoch auf Basis der Indizien gegen beide Verdächtige niemals einen Haftbefehl ausstellen.

Zwei Londoner Polizeibehörden waren für die Ermittlung der Mordfälle zuständig, da der Ripper vor den Grenzen der Zuständigkeit der Londoner Stadtpolizei und der Metropolitan Police (Scotland Yard) unter Sir Charles Warren nicht haltmachte: Jack the Ripper mordete (genauer gesagt: strangulierte) und verstümmelte in beiden Zuständigkeitsbereichen und zwar mit bemerkenswerter Frechheit auf offener, wenn auch dunkler Straße, sogar unter den Augen von Zeugen.

Es ist deswegen keine Legende, daß Polizisten Jack the Ripper manchmal wohl nur um Minuten, vielleicht sogar Sekunden verpaßt haben. Beide Polizeibehörden waren offensichtlich nicht gut koordiniert, die Kriminalpolizei sozusagen noch in den Kinderschuhen. 1888 gab es natürlich auch noch keine kriminaltechnischen Untersuchungen, obwohl sich zumindest die Stadtpolizei um Fotos von Tatorten bemühte. Wenn jedoch ein Täter nicht auf frischer Tat gestellt oder von Zeugen identifiziert wurde oder gar ein Geständnis ablegte, kam er in der Regel davon.

Den Namen Jack the Ripper hat sich der Whitechapel-Mörder höchstwahrscheinlich nicht selbst gegeben, obwohl der Name schriftlich fixiert zum erstenmal in einem als "Deer Boss" berühmt gewordenen Brief an die Central News Agency auftaucht, angeblich vom Ripper selbst geschrieben. Die bereits o.a. Machenschaften der Presse lassen aber genauso die Vermutung zu, daß hier ein Zeitungsmensch dem Volk auf´s Maul geschaut hat ("Jack" entspricht dem heutigen "Typ"), wo diese populäre Bezeichnung des Killers vielleicht schon geläufig war. Vielleicht ist mit der Yellow Press, die in diesen Tagen geboren wurde, ihr Hauptwerkzeug - die Fälschung - gleich mit auf die Welt gekommen. Die Authenzität des Briefes ist jedenfalls umstritten, andere Hoaxe sind nachgewiesen.

Einer dieser wahrscheinlichen Fälschungen ist wohl auch der sogenannte Lusk-Brief, dem eine (menschliche ?) Niere beigefügt war. Gesendet wurde er an den Vorsitzenden eines Wachschutzes für Whitechapel, George Lusk. Überschrieben war dieser Brief mit "From hell" - daher mag auch der Titel des gerade angelaufenen Films bzw. des zugrundeliegenden Comics stammen. Aus diesem Grunde hier einmal der Originaltext dieses Briefes:

From hell.
Mr Lusk,
Sor
I send you half the Kidne I took from one woman and prasarved it for you to ther piece I fried and ate it was very nise.
I may send you the bloody knif that took it out if you only wate a whil longer
signed
Catch me when you can Mishter Lusk

Der Brief kam sicher nicht aus der Hölle und wohl kaum vom Whitechapel-Mörder.

Eine zeitgenössische Straße in London
Eine Straße im viktorianischen London
 Battystreet heute
In der Battystreet soll JACK zur Miete gewohnt haben...

Gesehen wurde Jack the Ripper mit großer Sicherheit von mehr als einem Zeugen, das Problem aber - und das paßt zu diesem Phantom - waren erstens die unglaublich schlechten Lichtverhältnisse in den Straßen bei Nacht, zum zweiten die ebenso unglaublich abweichenden Beschreibungen von Zeugen, ein Phänomen, das Ermittlungsbehörden auch heute noch kennen. Man darf ebenfalls mit Recht vermuten, das wichtige Zeugenaussagen verloren gegangen sind oder zwischen den Mühlsteinen zweier Polizeibehörden verschwanden.

Die Opfer

Über die Anzahl der Opfer wird jedoch nach wie vor gestritten, vollkommen eindeutig tragen nämlich lediglich drei Morde die Handschrift eines Mörders. Diese drei Opfer waren:

Mary Ann Nichols, auch Polly Nichols genannt, ermordet am Freitag, 31. August 1888,

Annie Chapman, ermordet am Samstag, dem 8. September 1888 und

Catharine Eddowes, ermordet am Samstag, dem 30. September 1888.

Elizabeth Stride wurde in derselben Nacht wie Catharine Eddowes ermordet und gilt traditionell ebenfalls als Opfer des Whitechapel-Mörders. Die Unsicherheit über ihren Mörder beruht im wesentlichen auf den fehlenden Verstümmelungen, die den anderen Opfern zugefügt worden. Der Mörder von Stride wurde jedoch bei der Tat von Zeugen gestört und hatte deswegen vielleicht nicht die Zeit, seine "Handschrift" zu hinterlassen. Zwei bis drei Stunden danach hätte er sich dann Eddowes als Ersatz für seinen ersten gescheiterten Versuch gesucht.

Der Mord an Mary Jane Kelly am Freitag, dem 9. November 1888 weicht in vielen Faktoren von den anderen Taten ab:
Kelly war erst 25 Jahre alt, während die anderen Opfer inclusive Stride sich im Alter (geboren zwischen 1841 und 1845) auffallend glichen.
Kelly wurde in ihrem Zimmer getötet, während die anderen Opfer auf der Straße, sozusagen in aller Öffentlichkeit den Tod fanden.
Kelly wurde in extremen Ausmaß verstümmelt - "auseinandergenommen" ist ein brutales, aber zutreffendes Wort - während die Verstümmelungen der anderen Opfer zwar grauenhaft, aber präzise und auf einen bestimmten Bereich begrenzt waren: sie zielten nämlich vornehmlich auf die weiblichen Fortpflanzungsorgane. Kelly dagegen wurde u.a. das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Und Mary Kelly wurde mit großer Wahrscheinlichkeit zur Tageszeit getötet, während die anderen, unzweifelhaften Ripper-Opfer bei Nacht bzw. bei Morgendämmerung starben.

Kurz: Die Handschrift Jack the Rippers ist in diesem Gemetzel nur unter Vorsatz wiederzuerkennen, vielen Forschern gilt Mary Kelly dennoch als fünftes und letztes Opfer Jack the Rippers (Wo bleibt sonst die hübsche Heather Graham in "From Hell"), anderen dagegen als - vielleicht zu Verdeckungszwecken - Trittbrettfahrermord.

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Träfe die Ripper-Täterschaft bei Kelly zu, kann man mit derselben (Un)Gewißheit auch bezweifeln, daß mit Polly Nichols die Whitechapel-Mordserie begann, denn der Mord an Martha Tabram am 7. August 1888, einem Dienstag, weist neben der zeitlichen Nähe auch Spuren der Handschrift des Rippers auf. Daneben entspricht Tabram exakt dem Opferprofil - im Gegensatz zu Kelly. Die gesteigerte Bestialität des Kelly-Mordes und die Jugend des Opfers trug einen gut Teil zur schrecklich-romantischen Schauergeschichte um das Monster Jack the Ripper bei, der im nebligen London junge, hübsche Huren mit dem blitzenden Messer meuchelt - übrigens wurden die Frauen zuerst wohl erdrosselt.

Das die Ripperopfer sich prostituierten, steht außer Frage, daß sie auf diese Weise an den Ripper gerieten, ist aber lediglich eine Möglichkeit.
Die Form der Prostitution, der die Opfer nachgingen, hatte nichts mit dem herkömmlichen Beruf der Hure gemein. Vielmehr hatte sie Ähnlichkeit mit dem als Survival-Sex bekannten Phänomen oder sogar mit dem Drogenstrich - nachweislich betäubten diese Frauen ihre verzweifelte Lage mit Alkohol.
Es war eine verzweifelte Form der Gelegenheitsprostitution, die diesen Frauen erlaubte, zu überleben, da sie ansonsten keine Möglichkeit hatten, über die Runden zu kommen.

Sie trafen ihre Kunden auf der Straße oder im Pub, die Dienstleistung wurde in der Regel gleich auf der Straße, in einer dunklen Ecke oder einem Hinterhof erbracht - gern haben es diese Frauen sicherlich nicht getan und wohl auch nicht regelmäßig. Deswegen ist es keineswegs abgemacht, daß der Mörder auf sie als potentieller Kunde traf, ihnen in einem Pub begegnete oder sie eventuell kannte, sogar regelmäßigen Umgang mit ihnen hatte - nichts ist bewiesen, alles möglich.

Will man es am Ende (fast) allen recht machen, kann man sagen, Jack the Ripper habe mindestens drei Frauen, höchstens aber sechs Opfer ermordet, vielleicht gehen auch noch zwei, drei Mordversuche zuvor und danach auf sein Konto.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß es auch Anhänger von mehr oder weniger konstruktiven Theorien gibt, die dem Ripper bis zu acht Morde und auch einige Mordversuche zuschreiben - eine Legende stirbt nicht so schnell.

Die Verdächtigen

Bereits 1888 gab es eine große Anzahl von potentiellen Verdächtigen - nicht zuletzt die Folge des durch die Presse und politische Meinungsführer erzeugten Klimas der Angst und Unsicherheit. Männer wurden allein wegen ihres Aussehens oder ihrer Herkunft angezeigt, jeder Gewaltakt gegen Frauen wurde dem Ripper zugeschrieben, unbedeutende Vorfälle erhielten nun Gewicht. Im Verlaufe der Jahre - noch so mancher Mord wurde mit "Jack is back" kommentiert - gerieten neue Verdächtige ins Fadenkreuz von Ermittlern, Historikern und Hobbyforschern, oft nur auf Basis einer wie auch immer stichhaltigen, vagen Verbindung zu den Morden. Aber gegen keinen dieser Verdächtigen gab es echte Indizien hinsichtlich der Mordserie, vielleicht auch, weil man einen Täter suchte, der für alle 5 Morde in Frage kam.

Im Falle von Mary Kelly dagegen gab es 1888 sofort einen Mann, auf den der Verdacht fiel und der heute für den Kelly-Mord relativ stark in Frage käme: Ihr Lebensgefährte Joseph Barnett, ein Fischverkäufer bzw. Fischträger, hatte mit Mary Kelly in eben dem Raum, in dem sie getötet wurde, zusammengelebt.

 Joseph Barnett

Im July 1888 verlor Barnett wahrscheinlich seine Arbeitslizenz am Billingsgate Market, von Eifersuchtsszenen Barnetts gegenüber Kelly wird daraufhin berichtet. Am 30. Oktober hatte das Paar dann einen heftigen Streit und Barnett zog aus. In den nächsten Tagen besuchte Barnett Kelly mehrfach, der Streit schien teilweise beigelegt. Am 9. November wurde Kelly jedoch ermordet, offensichtlich - wie alle Welt vermutete - von der Hand des Serientäters, der bereits 4 Frauen getötet und verstümmelt hatte. Barnett hatte ein Alibi für die vermutete Tatzeit um 4:00 am Morgen, die sich aber später nicht bestätigte. Zeugenaussagen bestätigen u.a. nämlich, Mary Kelly an diesem Morgen mehrfach noch bis um 10:00 lebend gesehen zu haben - um 10:45 wurde sie tot aufgefunden. Zu diesem Zeitpunkt aber war zumindest Scotland Yard offensichtlich schon auf einer ganz anderen Ripper-Spur - dazu aber später.

 Kelly´s Zimmer von außen

Die beiden Fenster lassen in den Raum blicken, in dem Mary Kelly wohnte und tot aufgefunden wurde. Ein Foto vom Tag des Mordes.

Gegen Jack the Ripper´s Täterschaft im Falle Mary Kelly sprechen bereits o.a. Umstände, für Joseph Barnett als Mörder dagegen sprechen ein vorhandenes Motiv und ein merkwürdiger Umstand: Der Raum mit der Leiche war verschlossen, obwohl Mary Kelly angeblich seit Wochen über keinen Schlüssel mehr verfügte. Zwei weitere Schlüssel existierten dagegen noch, einer war im Besitz des Vermieters, den anderen hatte Barnett. Ein weiteres Indiz mag Barnett noch weiter belasten: In Kelly´s Zimmer fand sich am Mordtag seine Pfeife - einer diesen an sich normalen Umstände -schließlich hatte er 10 Tage zuvor dort noch gelebt und Kelly zwischendurch besucht - die aber vor dem Hintergrund des Verdachts ein anderes Gewicht bekommen.

Einige Ripper-Forscher zählen nun 1 und 1 zusammen und behaupten, Barnett habe Kelly ermordet - er ist sicherlich nicht unverdächtig - also sei er auch mit Jack the Ripper identisch. Dabei stoßen sie auf angeblich merkwürdige Zufälle und Links zu den anderen Opfern wie z.B. Namengleichheiten, Ortspräsenz und -kenntnisse Barnetts oder ein merkwürdiges Motiv, wonach Barnett die ersten Opfer sozusagen repräsentativ für seine Geliebte getötet habe, bis sich der Affekt endlich Bahn beim tatsächlichen Objekt seiner Wut gebrochen habe.

Es ist dies vielleicht derselbe Fehler, den die Ermittlungsbehörden 1888 machten - nämlich den Mörder von Mary Kelly in dem Whitechapel-Serienmörder zu vermuten - während heute einige Forscher in dem mutmaßlichen Hauptverdächtigen für den Kelly-Mord den Ripper vermuten.

Es ist aber wahrscheinlicher, daß Mary Kelly ihrem eifersüchtigen Ex-Lebensgefährten oder sogar einem Unbekannten zum Opfer fiel - auch Mary Kelly ging der Gelegenheitsprostitution nach.
Der Mörder könnte durch die Verstümmelungen versucht haben, die Rippermorde zu kopieren, um den Verdacht von sich oder die Untersuchung in eine andere Richtung zu lenken. Da sein Wissen über die tatsächliche Vorgehensart des Rippers unvollständig war, hat er vielleicht seine Vorstellungen von Verstümmelung an Kelly verwirklicht - und übertrieben.

Am Ende kann man Barnett nicht als Topverdächtigen für die Whitechapel-Morde aufführen, für den Mord an Mary Kelly kommt er aber durchaus in Frage.

Das sich die Polizei mit Joseph Barnett lediglich kurzfristig befasste, mag neben der bereits angedeuteten Bias infolge der Mordserie seine Ursache auch darin haben, daß sie zu diesem Zeitpunkt offensichtlich einen Topverdächtigen hatten, von dem die Forschung bis zum Jahre 1993 gar nichts wußte.

In diesem Jahr wurde der sogenannte Littlechild-Brief aus dem Jahre 1913 entdeckt, in dem der Verfasser John Littlechild - zur Zeit der Mordserie bei Scotland Yard - den Namen eines Verdächtigen nennt: Dr.Tumblety. Weitere Forschungen ergaben überraschende Erkenntnisse, die uns lehren, welch umfangreiche blinde Flecke sich 100 Jahre nach den Morden tatsächlich auf den Augen der historischen Forschung befinden.

Francis Tumblety, ein amerikanischer Quacksalber und eine schillernde Persönlichkeit, war bereits 1888 einer der Hauptverdächtigen, wenn nicht der Top-Kandidat für Scotland Yard in der Whitechapel-Mordserie.

Dies erfuhr die Ripperforschung nun einerseits durch den Littlechild-Brief, andererseits... durch zeitgenössische amerikanische Zeitungen ! Tumblety hatte sich von Juni 1888 bis zum 24. November 1888 in England aufgehalten, zur Zeit der Mordserie war er in London. Tatsächlich war er dort zuerst wegen anstößigen Benehmens, schließlich vielleicht sogar wegen der Mordserie festgenommen worden. Es kam zu einer Vorverhandlung, doch Tumblety stellte Kaution und kam auf freien Fuß.

 Francis Tumblety

Francis Tumblety. Das Tragen von Phantasieuniformen soll typisch für ihn gewesen sein.

Als Tumblety mehr oder weniger fluchtartig und unter falschem Namen England verließ, avisierte die amerikanische Presse ihrem Publikum die Ankunft des Hauptverdächtigen in der Whitechapel-Mordserie. Mehr noch, die amerikanischen Zeitungen berichteten darüber, daß Scotland Yard Polizisten ausgeschickt habe, Tumblety in die USA zu folgen. In New York angekommen, gelang es Tumblety jedoch bald, sich der Beobachtung durch die dortige Polizei zu entziehen.

Verglichen mit den anderen Verdächtigen aus Vergangenheit und Gegenwart ist Francis Tumblety Jack the Ripper in Person, nie zuvor hat ein Verdächtiger besser in das Bild von Jack the Ripper gepaßt. Aber gibt es Beweise gegen Tumblety ?

Das von vielen Autoren betonte Indiz gegen den Quacksalber aus den USA ist ein Fund in seinem Nachlaß: Zwei billige Fingerringe mit Imitaten finden sich hier neben viel Geld und anderen Schmuckstücken. Sie gleichen der Beschreibung von Ringen, wie sie Annie Chapman besessen hat und die ihr nach ihrer Ermordung fehlten. Traurige Erfahrungen mit Serienmördern lassen uns heute wissen, daß einige von ihnen Trophäen von ihren Opfern entwenden und aufbewahren.

Tumblety verdiente sein Geld als illegal praktizierender Quacksalber und hat auch Erfahrungen mit der menschlichen Anatomie gesammelt - Jack the Ripper wurden aufgrund seiner gezielten Vorgehensweise bei der Verstümmelung der Opfer anatomische Kenntnisse über Standard nachgesagt.

Tumblety hat Bekannten mehrfach menschliche Präperate vorgeführt, insbesondere sollen darunter weibliche Uteri gewesen sein - die Verstümmelungen des Rippers zielen exakt auf diese Körperregion, von den Opfern wurden - angeblich fachmännisch - Uteri entnommen. Tumblety selbst soll Abtreibungen vorgenommen haben, angeblich sogar an seiner Frau, die ihn nach eigenen Angaben schändlich betrogen habe. Und: Tumblety´s Ehefrau soll sogar als Prostituierte gearbeitet haben (Vielleicht hat hier aber auch das Wunschdenken vieler Hobbyforscher zugeschlagen) .

Tumblety wurde von Zeugen ein ausgesprochener Frauenhaß nachgesagt, u.a. begründet mit dem eben genannten Fall seiner gescheiterten Ehe. Zur als höchst narzißtisch beschriebenen Persönlichkeit Tumbletys würde diese Reaktion gut passen und wäre tatsächlich ein gängiges Motiv, bei Persistenz dieses Hasses - und zur Verbohrtheit neigen narzißtische Persönlichkeiten - zum Serienkiller zu werden.

Tumblety ist schon früh mit dem Gesetz in Konflikt gekommen: In seiner Jugend soll er pornographische Schriften verkauft haben, als Quacksalber wurde er mehrfach wegen Tötungsdelikten angeklagt, entzog sich aber den Verhandlungen durch Flucht.

Sein ganzes großtuerisches und großsprecherisches Gehabe wirkte auf seine Umwelt als abweichend. Starker Geltungsdrang und absolute Selbstbezogenheit spricht aus den Beschreibungen seines Verhaltens. Der "Deer Boss" Brief - wenn keine Fälschung - könnte gut von einer ähnlich gelagerten Persönlichkeit stammen. In einigen Beschreibungen erinnert Tumbletys Profil an den 100 Jahre später in Österreich und den USA wirkenden Serienmörder Jack Unterweger.

Und noch ein Mosaiksteinchen: Nach Meinung der Mehrheit der Ripperforscher beginnt die Mordserie mit Eintreffen Tumbletys in England und bricht mit seiner Abreise oder Flucht wieder ab. War also Dr. Francis Tumblety Jack the Ripper ?

www.abo.chip.de
 The Complete History of Jack the Ripper The Complete History of Jack the Ripper
von Philip Sugden
Sprache: Englisch
Taschenbuch - 544 Seiten - Constable and Robinson

Erscheinungsdatum: Februar 2002

Zweifellos hat es im Verlaufe der Jahrzehnte bzw. eines Jahrhunderts nie einen besseren Kandidaten gegeben... soweit wir wissen... und bis 1993 haben wir ja nicht einmal von Tumblety etwas gewußt ! Aber eigentlich beginnt die Untersuchung hier erst, über einen ersten Verdacht sind wir eigentlich selbst im Fall Tumblety noch nicht hinaus.

Da bleiben Fragen wie z.B. : Wenn Dr. T. die Ringe von Chapman an sich genommen hat, warum hat die Polizei sie nicht gefunden, als sie ihn festnahm ? Haben die Polizisten Tumbletys Habseligkeiten nicht untersucht ? Oder sind ihnen die Ringe nicht aufgefallen ? Oder hat er sie wie die entnommenen Organe irgendwo deponiert ?

Und die Beschreibungen, die wir von Tumblety haben, decken sich nicht gut mit den Zeugenaussagen an oder in der Nähe der Tatorte. Ich denke, ein Mann wie Tumblety, der in Auftreten und Kleidung immer aufgefallen ist, würde hier entsprechend beschrieben worden sein.

So gut, wie der amerikanische Quacksalber und Angeber auch in´s Profil passt: Zu Tumblety hätte es aus derselben Persönlichkeitsstruktur heraus gepaßt, mit dem Verdacht zu kokettieren. Vielleicht haben ihn lediglich einige starke Sprüche in´s Visier der Polizei gebracht ?

Eine der großen Fragen in der Forschung zu Jack the Ripper ist folgende: Beginnt die Mordserie im August 1888 und bricht sie wirklich spätesten im November 1888 ab ? In England scheinen dies die Rahmenwerte für die Untaten des Whitechapel-Mörders zu sein. Aber setzt sich die Mordserie z.B in den USA fort, womöglich im Zusammenhang mit Francis Tumblety ? Oder hat es vor August 1888 ähnliche Morde in den USA gegeben ? Hier gibt es zumindest noch keine positiven Antworten.

Tumblety bleibt zwar der Topverdächtige, aber stellen Sie sich einmal vor, sie würden ihn gegen eine entsprechende Anklage vor Gericht verteidigen ! Oder es würde nun der Name eines in Whitechapel ansässigen Verdächtigen auftauchen, der - bei seiner tyrannischen Mutter lebend - im November 1888 verstorben ist und der der Persönlichkeit eines "stillen" Serienkillers entspricht... und stellen Sie sich einmal vor, man findet bei ihm zwei Ringe...

Zusammengefaßt ist der historische Stand um den Whitechapel-Mörder folgender:

- Drei nachgewiesene Opfer im August / September 1888, darüber hinaus sind keine weiteren deutlichen Zuordnungen zu machen.
- Keine Spur an den Tatorten, die sich nachweisbar Jack the Ripper zuordnen ließe - außer seiner "Handschrift".
- Keine anderen Spuren wie z.B. Briefe, die sich sicher zuordnen lassen, kein echter Verdächtiger, ein guter Kandidat immerhin - Francis Tumblety - der zur Zeit in seiner Biographie näher unter die Lupe genommen wird. Beweise für seine Täterschaft werden dabei aber wohl kaum an´s Tageslicht kommen.

Am Ende ist die Wahrscheinlichkeit, auf Basis der heutigen Fakten (oder auch: Artefakte) auch nur in die Nähe der Identität des Whitechapel-Mörders zu kommen, sehr gering. Vielleicht ist der Name des tatsächlichen Mörders in den letzten 130 Jahren im Kontext des Falls nicht einmal genannt worden. Wer Jack the Ripper war - das wage ich vorauszusagen - wird man nie erfahren.
Es gibt nichts mehr her außer Spekulationen und Artefakte... Man könnte ebenso gut Ufologe werden !


Um das berühmte Maybrick-Tagebuch rankt sich dieser Krimi von Shirley Harrison: Das Tagebuch von Jack the Ripper

Patricia Cornwell:  Wer war Jack the Ripper? Porträt eines Killers.

Wenngleich Maybricks Selbstbezichtigungen weitgehend widerlegt sind, es ist schon spannend, wie hier wieder eine neue Ripper-Nuance hinzugefügt wird. Wer also Krimis liebt...



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