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Die humanistisch-sozialistische Charaktertheorie von Erich FROMM

(Script 1994)

FROMMs Theorie gehört in die Reihe der dialektischen Verständnisse vom Person-Umwelt Modell und ist nach FUNK eine Verbindung von Elementen des Marxismus und der Psychoanalyse.

Grundlage ist eine existentiell fundierte Anthropologie: Im Laufe der Entwicklung des Menschen ist eine abnehmende Instinktgebundenheit mit einer zunehmenden instrumentellen Intelligenz und der Entwicklung von Vernunft einhergegangen.

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, daß sich seiner selbst bewußt ist, in der Lage ist, etwas objektiv zu verstehen. Dadurch ist er in der Lage, den Widerspruch wahrzunehmen, der einerseits in seiner Naturverhaftetheit (Teil der Natur) und andererseits in der Übersteigerung seiner Natur durch seine Vernunftbegabung liegt: "Die eigene Existenz ist ihm zum Problem geworden, das er lösen muß und dem er nicht entfliehen kann."

Aus diesem Widerspruch ergeben sich Dichotomien:
Existentielle Dichotomien (grundsätzlich an die Existenz des Menschen gebunden), sie können entweder produktiv oder unproduktiv versucht, gelöst zu werden.

- Dichotomie zwischen Leben und Tod (Spannungsverhältnis: Auflösung z.B. Religion)

- Dichotomie zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit der Selbstentfaltung

Historische Dichotomien (Diese sind menschgemacht, entstehen durch den Einzelnen oder in der Entwicklung der Soziität), sie können im Gegensatz zu den Existentiellen gelöst werden.

FROMM verbindet also den biologischen Determinismus FREUDs mit der materialistischen Gesellschaftsauffassung von MARX. Dabei bedingen Individuum und Gesellschaft einander: Die sozial-ökonomische Situation hat Einfluß auf die gegebene Triebstruktur von Gruppen und Individuen und scheinbar ideelle Motive z.B. als Rationalisierungen libidinöser Bedürfnisse beinflussen die ökonomische bzw. soziale Struktur.

Durch das Bewußtsein seiner selbst wird der Mensch dazu gedrängt, seine existentiellen Dichotomien zu lösen. Dabei entwickeln sich einige spezifisch menschliche existentielle Bedürfnisse, die scharf von den physiologischen Bedürfnissen (Hunger, Durst etc., welche allein nicht reichen, den Menschen glücklich zu machen) zu trennen sind. An Versuchen, sie zu befriedigen, unterscheidet Fromm w.o. unproduktive und produktive Varianten:

- Bedürfnis nach Bezogenheit : Beendung der Vereinzelung und Kompensation für die verlorengegangenen Instinktbindungen in der Suche nach neuen Bindungen. Unproduktiv : Bsp. Flucht ins Konformistische oder Autoritäre. Produktiv: Nur Liebe.

- Bedürfnis nach Transzendenz : Überwindung des Geworfenseins, der Passivität und Zufälligkeit, indem man selbst zum "Schöpfer" wird. Unproduktiv : Destruktivität Produktiv: Kreativität.

- Bedürfnis nach Wirkmächtigkeit : Dieses Bedürfnis ist eng mit 2) verbunden: Etwas zustande bringen, vollführen nach dem Motto: Ich bin, weil ich etwas bewirke. Hier entscheidet das, was der Mensch bewirkt, letztendlich über die Produktivität oder Inproduktivität. (Wenn ich z.B. jemandem Angst mache, ist das im Sinne von FROMMs Ethik inproduktiv)

- Bedürfnis nach Verwurzelung : Der Verlust der Geborgenheit nach der Geburt muß angemessen und permanent ersetzt werden. Auf die natürlichen Wurzeln kann nur verzichtet werden, wenn man menschliche Wurzeln findet. Unproduktiv : Rückzug auf "natürliche Wurzeln", z.B. die Mutter oder Symbole wie Gott, Nation, Bürpkratie. Produktiv : "Brüderlichkeit" im Sinne der franz. Revolution: Entwicklung von Vernunft und Liebe.

- Bedürfnis nach Identitätserleben : Unproduktiv : "Ersatzlösung" durch Identifikation z.B. mit Gruppe (Ich bin ein Deutscher). Produktiv : Akzeptieren und Ausbau der vollen menschlichen Individualität.

- Bedürfnis nach einem Rahmen der Orientierung und einem Objekt der Hingabe : Die Vernunft des Menschen muß sich Sinn in einem Rahmen suchen, um sich überhaupt zu orientieren. Innerhalb dieses Rahmens wird dann ein Objekt der Hingabe (Sinn) gefunden. Unproduktiv : z.B. ein Idol , das Töten verlangt. Produktiv : Ein Ideal, das Töten verhindert.

FROMMs Charaktertheorie:

FROMM unterscheidet zwischen Persönlichkeit, Temperament, Charakter und Verhaltensweisen :

DEF: Persönlichkeit ist die Totalität ererbter oder erworbener Eigenschaften, die den Einzelnen charakterisieren und das Einmalige dieses Einzelnen ausmachen.

DEF: Temperament ist der ererbte oder angeborene Teil der Persönlichkeit und somit unveränderbar (Art und Weise der Reaktionen).

DEF: Charakter: Hier ist zu unterscheiden: Charakterzug, Charakterstruktur und Charakterorientierung. Charakter allgemein bezieht sich auf ein relativ permanentes System aller nicht instinktiven Triebe, durch die der mensch sich mit der Welt (menschlich und natürlichen) in Beziehung setzt. Der Charakter ist sozusagen die Antwort auf die exitentiellen Bedürfnisse. Sein Struktir allgemein ist die Charakterstruktur, einzelne Teile der Struktur Charakterzüge, die individuell verschiedene Organisaion der Charakterstrukur ist die Charakterorientierung..

DEF: Die Charakterzüge manifestieren sich in verschiedenen Verhaltensweisen.
Der Charakter prägt sich vor allem in den ersten Lebensjahren, ist aber niemals unveränderlich und kann sich durchaus grundlegend ändern. Die Charakterorientierung sagt darüber aus, auf welche Weise Personen ihre existetiellen Bedürfnisse lösen.

Der Begriff des Gesellschaftscharakters nimmt eine zentrale Stellung in Fromms Konzeption ein, da er auch zur Erklärung der Entstehung und Ausformung des individuellen Charakters wesentlich ist.

Unter Gesellschaftscharakter versteht FROMM den Kern einer Charakterstruktur, welcher bei den meisten Gliedern einer Kultur übereinstimmt. Diese Charakterstruktur ist nur auf Grundlage der ökonomischen Bedingungen verständlich, die als Lebensgrundlage für die Menschen steht. Die ideologische Struktur und die ökonomischen Bedingungen stellen die ökonomische Basis dar. Der den Normenapparat repräsentierende Gesellschaftcharakter stellt eine Art Vermittler zwischen ökonomischen Bedingungen und ideologischer Struktur dar. Für das Individuum ist er sozusagen die Folie, auf der die Entwicklung stattfindet.

Im Gegensatz zu FREUD sind die Triebe für FROMM wesentlich flexibler und seine Form der Libido eher ein allgemeiner Begriff für die menschliche Energie. So besteht die Charakterentwicklung bei FROMM nicht aus einem Phasenmodell, in dem zunehmend libidinöse Energie auf Objekte verlagert wird, sondern eher aus unterschiedlichen Formen der Verlagerung der Energie.

Der Mensch setzt sich grundsätzlich auf zwei verschiedene Weisen mit der Welt in Beziehung:

- Assimilationsprozeß, also durch die Assimilation und Aneignung von (materiellen) Dingen.

- Sozialisationprozeß, also dadurch, das er sich zu den Menschen und sich selbst in Beziehung setzt.

Mit dieser Unterscheidung zwischen Assimilations- und Sozialisationsprozeß unterteilt FROMM die Welt grob in zwei Bestandteile:
Einen materiellen, nicht menschlichen und einen sozialen, durch Menschen Geschaffenen.
Die Entwicklung des Individuums bzw. des individuellen Charakters ist somit eine komplexe Wechselwirkung zwischen diversen Trägern des Gesellschaftscharakers und der konstitutionellen Grundstruktur des Individuums. Die Familie z.B. ist ein Vermittler zwischen diesen beiden Polen, sie wird ebenfalls durch die Gesellschaft beeinflußt, wirkt somit auf das Kind (gefiltert durch dessen Konstitution) ein.

CHARAKTERORIENTIERUNGEN:

FROMM unterscheidet zwischen unproduktiven und produktiven Orientierungen und nach Assimilations- und Sozialisationprozeß.
Da die Orientierungen in den beiden Prozeßen verwandt sind, handele ich sie gemeinsam ab (obwohl FROMM sie getrennt dargestellt hat) und zwar jeweils zuerst die Orientierung im Assimilationsprozeß und dann im Sozialisationsprozeß. Diese Orientierungen sind als Idealtypen zu verstehen (d.h. es kommen in der Realität nur Mischformen vor):

- Unproduktive Charakterorientierungen:

- Rezeptiv-masochistisch: d.h. also rezeptive Orienierung im Assimialtionsprozeß und masochistische im Sozialisationsprozeß. Die rezeptive Haltung des "Nehmens" ist hier die Komponente, das Warten, das von Außen etwas zugeführt wird. Die masochistische Komponente ist nicht als perversion zu verstehen, sondern steht für Passivität, Vertrauen auf die anderen, den Versuch, sich selbst loszuwerden. (Passiv)

- Ausbeuterisch-sadistisch: Kann als das genaue Gegenteil von o.g. begriffen werden.Bei Ausbeuterisch geht man auch davon aus, daß das Gute von außen kommt, aber der Aspekt des Nehmens dominiert, notfalls Nehmen mit Gewalt. Im zwischenmenschlichen Bereich heißt die sadistische Komponente, andere in seine Gewalt zu bekommen, sie klein zu machen. (Trieb nach Allmacht) (Aktiv) Diese Orientierungen könnte man als Symbiose zusammenfassen.

- hortend-destruktiv: Horten bedeutet hier, sich ein Gefühl der Sicherheit zu schaffen, Neues zu meiden und Erworbenes zu sammeln. Geiz ist ein wesentliches Merkmal. Für Beziehungen gilt, daß sie distanziert sind, abgebrochen werden, aktives sich-zurückziehen dominiert. (Passiv)

- Marketing-Indifferent: Die Marketingorientierung besteht in der Komponente des Tauschens, alles ist Tauschware, der Tauschwert dominiert über dem Gebrauchswert. Es ist auch wichtig, wie man sich selbst verkauft. An sich ist das die aktive Komponente des o.g.. Indifferent heißt Gleichheit im Sinne von Austauschbarkeit, Gleichgültigkeit, was zur Entfremdung führt. (Aktiv)


Die letzten beiden Orientierungen kann man als Sich-Zurückziehen kennzeichnen.

- Produktive Charakterorientierungen:

Hier steht im Assimilationsprozeß produktives Arbeiten (Handeln), im Sozialisationsprozeß produktives Denken (kognitiver Aspekt) und produktive Liebe (leben):

Der Mensch ist frei, erlebt sich selbst als Handelnder.

Beim produktiven Arbeiten hält er die Balance zwischen reproduktivem Erleben (Welt wird wirklichkeitsgetreu "abgebildet") und generativem Erleben (Abgehobenheit von der Welt). Die Subjekt-Objekt-Dichotomie wird aufgehoben im "Respekt des Denkenden für sein Objekt", was erweiter auch für die Liebe gilt.

Die Liebe des Menschen zum Menschen hat für FROMM den zentralen Stellenwert für produktive Orientierungen. Produktive Liebe ist gelungenes Leben.

Bei allen produktiven Formen der Orientierungen "ist" der Mensch wirklich, dominiert das Sein, während sich die unproduktiven Orientieungen an einem Haben orientieren. FROMM betont die Notwendigkeit der Existenz der unproduktiven Orientierungen auch beim idealen Menschen, worum es ihm für die Zukunft geht, ist das ideale Mischungsverhältnis zwischen produktiven und unproduktiven Orientierungen, wobei aber das SEIN über das HABEN dominiert. Deshalb ist eine Konsumkritik bei FROMM obligatorisch, wie Gesellschaftskritik überhaupt .

FROMM orientiert sich an einer humanistischen Ethik (als Grundlage der Bewertung wünschenswerter Formen menschlicher Lebenstätikeit), die er im Gegensatz zu einer autoritären Ethik sieht. Nach dieser Ethik ist der Mensch selbst , nicht eine übergeordnete Autorität das Maß der Dinge:

Gut ist das, was für den Menschen gut ist, böse ist das, was ihm schadet. Das Wohl des Menschen ist das einzige Kriterium für ein ethisches Werturteil.

FROMM versteht das nicht als ein subjektives Werturteil: Normen müßen für ihn objektiv so zugrunde gelegt werden, das sie die Entwicklung des Menschen fördern, die spezifisch menschlichen Eigenschaften fördern. Schlecht ist, was das Leben und die Tätigkeit des Menschen lähmt. Deswegen müßen die gesellschaftlichen Bedingungen auf dieses Ziel hin geändert werden. Zentrale Merkmale: z.B. - gesunder, vernünftiger Konsum - Mitbestimmungsdemokratie - Dezentralisierung von Wirtschaft und Politik - Objektive Informationen- Atomare Abrüstung.

SEIN, NICHT HABEN HEISST DIE HUMANISTISCHE ALTERNATIVE.

Kritik:

1. FROMMS Begriffe haben ein hohes Abstraktionsniveau, so das man mit seinen allgemeinen Aussagen durchaus konform gehen kann. Aber die Begriffe sind praktisch inoperationalisierbar, Absicherungen im Detail so gut wie unmöglich.

2. Die Tendenz zur Übergeneralisierung hat bislang keine im engeren Sinne empirischen Bestätigungsversuche erlaubt.

3. Auch seine Charaktertypen, die ja Mischformen aus den Idealtypen darstellen, sind untereinander schwer auseinanderzuhalten. Es sind sozusagen keine Abstände oder Unterschiede zwischen ihnen definiert. Jedenfall gibt es dafür keine methodischen Anweisungen.

4. Die Prozeße zur Charakteraneignung bleiben vage, seine theoretischen Entwürfe sind großangelegt, eine Mikroaanalyse findet nicht statt.

5. Eine wirklich befriedigende wissenschafts-theoretische Anlage wird vermißt


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