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Persönlichkeitstheorien von Lawrence A. Pervin UTB Stuttgart 2000 |
MASLOWS Theorie gehört in die Reihe der organismischen Modelle, deren zentrales Axiom ist, daß der Mensch grundsätzlich aktiv ist, Reize aufgrund eigener Aktivität verarbeitet und sie strukturiert. Er reagiert also nicht auf die Umwelt, sondern wirkt auf sie ein, indem er sie innerlich konstruiert und handelt.
Für die Grundpositionen der humanistischen Psychologie, die neben den
Hauptströmungen Behaviorismus und Psychoanalyse
sozusagen die "dritte Kraft" darstellt, sind einige Argumente
kennzeichnend (insbesondere in der Abgrenzung zu den anderen Strömungen):
Die Person wird als eine integrierte Ganzheit (
Holismus
) betrachtet. MASLOW wendet sich dabei insbesondere gegen den Elementarismus
der Experimentalpsychologie.
Eine Übertragung von Ergebnissen der experimentellen Psychologie von Tieren
auf Menschen sieht MASLOW deswegen als unzulässig an. Dies ist eine
Dehumanisierung
der Psychologie. Tiere können z.B. keine Scham, keinen Humor und keine
Eifersucht zeigen.
Die humanistische Psychologie geht davon aus, daß der
Mensch grundsätzlich gut ist.
Menschen - so MASLOW - haben allenfalls noch
Rudimente von Instinkten
und wenn sie schlecht handeln, liegt das an den Umweltbedingungen, die
grundlegende Bedürfnisse nicht befriedigen können.
Der Mensch besitzt angeborene Kreativität, kreatives Wachstum ist ein
wesengemäßes Charakteristikum des Menschen.
Die Grundlagen der humanistischen Psychologie fußen auf
positiven Aspekten der menschlichen Entwicklung
und thematisieren nicht, wie die Psychoanalyse, pathogene Aspekte. Wer abnorme
und neurotische Verhaltensformen als genuin für den Menschen ansehe, so
MASLOW, kann nur eine "verkrüppelte" Psychologie hervorbringen.
MASLOW steht
im Gegensatz zu einer Psychologie, die wertfrei konzipiert ist
. Seine Wissenschaftsauffassung umfasst die Orientierung an grundlegenden
Wertvorstellungen vom menschlichen Wesen.
Abraham MASLOW wollte mit seiner "
holistisch-dynamischen
" Theorie eine Konzeption schaffen, die über die beiden bestimmenden
Denkrichtungen in der Psychologie - Behaviorismus und Psychoanalyse- hinausging.
Im Kern seiner Theorie steht die Motivation: Er erkennt fünf Kategorien
von Bedürfnissen, die hierachisch angeordnet sind.
Jede dieser Bedürfnisklassen ist angeboren.
Damit ein hierachisch höher stehendes Bedürfnis entfaltet wird,
müßen erst die unteren Bedürfnisse befriedigt werden. Die
Hierachie gruppiert sich nach der Dringlichkeit ihrer Befriedigung: Auf der
untersten Stufe steht deswegen das rein
physiologische Bedürfnis
wie Nahrungsaufnahme, Schlaf, Sex in den kuturspezifisch unterschiedlich
geformten Manifestationen. Erst die Sättigung dieses
Basisbedürfnisses macht das Auftreten anderer Motive erst möglich.
das nächst höhere Motiv ist das
Sicherheitsbedürfnis
: Es umfasst die Bestrebungen nach Sicherheit, Stabilität, Schutz,
Angstfreiheit, Strukturen und Ordnung. Religion ist dann nach MASLOW der
Versuch, die Unsicherheiten des Unerklärbaren zu vermeiden. Das
Bedürfnis nach Liebe und Zugehörigkeit
stellt sich demnach erst ein, wenn die obigen Motive erreicht sind. Ist auch
dieses Bedürfnis befriedigt, stellt sich das
Bedürfnis nach Achtung
ein. Hier kann man zwei Varianten unterscheiden:
Zum einen das Bedürfnis nach Kompetenz ,Stärke, Unabhängigkeit
und Vertrauen angesichts der Welt, zum anderen das Motiv, einen hohen Status
einzunehmen, einen guten Ruf zu haben , kurz: Respekt und Hochachtung von
anderen Leuten.
Sind alle diese Bedürfnisse erfüllt, kann sich das letzte und
zentralste Motiv in MASLOWS Theorie einstellen:
Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung,
also alles zu werden, was zu werden man fähig ist.
MASLOW nennt eine Reihe von Kriterien für selbstverwirklichende Menschen
(holistische Analyse):
Realitätsangemessene Wahrnehmung, Akzeptierung des Selbst, anderer und
der Natur, Spontaniität und Natürlichkeit, problem- statt
ichzentriert, Objektivität, Autonomie, unverbrauchte
Wertschätzung, mystische und Grenzerfahrungen, Gemeinschaftsgefühl,
tiefere interpersonelle Beziehungen, demokratische Charakterstruktur, hohe
ethische Veranlagung, Sinn für philosophischen Humor, Kreativität,
relativer Unkonformismus mittels realistischer Einschätzung.
All diese Merkmale zusammenhenommen würden einen Supermenschen ergeben,
MASLOW sagt aber auch, den perfekten Menschen gäbe es nicht.
Menschen werden von
Wachstumsmotivation (Metamotivation)
und von
Mangelmotivation
angetrieben.
Die Mangelmotivation soll physische und psychische Defizite ausgleichen,
Spannungsintensitäten ( ,die der Körper infolge Mangels aufgebaut
hat) sollen nach dem Prinzip der
Homöostase
abgebaut werden. Sollwerte sollen wieder hergestellt werden.
Die Wachstumsmotivation hingegen tritt bei der gleitenden
Sollwertsveränderung auf, die Entwicklung der Person wird immer
differenzierter bis zur Selbstverwirklichung. Hier wird die Spannung nicht
reduziert, sondern nach dem Prinzip der
Heterostase
erhöht. Voraussetzung aber ist die Befriedigung der Defizitmotive.
Sind also die äußeren Bedingungen gut und können die Defizite
befriedigt werden, kann die dem Menschen immanente Wachstumstendenz zur
ständigen Selbstvervollkommenung beginnen.
Selbstverwirklichung hängt also durchaus von äußeren
Bedingungen ab, letztlich aber ist es die Person selbst, die sie zur Geltung
bringt. Ist also die Umwelt gut, können sich Konsequenzen der permissiven
Befriedigung ergeben, die Maslow in 61 Punkten aufzählt, z.B.
Charakterzüge wie "gesunde Großzügigkeit, Mut,
Entspannung, Selbstvertrauen, Größe, Freundlichkeit" usw.
MASLOWS Theorie wurde durch empirische Ergebnisse bestärkt, und zwar zum einen
mit der Entwicklung des POI (Personal Orientation Inventory) durch SHOSTROM und
folgender Anwendungen und durch die Ergebnisse von GRAHAM/BALLOUN (1973), die
den universellen Ablauf einer hierachisch ausdifferenzierten Motiventwicklung
implizieren.
INGLEHEART (1977,1979) , der zwischen
materiellen
und
postmateriellen
(an Selbstverwirklichung orientiert) Bedürfnisklassen unterschied, fand,
daß postmaterielle Bedürfnisse seltener sind.
Kritik:
Die humanistische Psychologie ist nach Meinung ihrer Kritiker konformistisch
und oberflächlich: Sie beschränke sich auf die Propagierung
wünschenswerter Zielzustände und ignoriere die menschliche
Realität von Gewalt, Zerstörung und psychischer Pathologien.
Da das Gelingen der Selbstverwirklichung letztlich von der Person selbst und
inneren Determinanten abhängig ist, werden mögliche äußere
Ursachen der bedrohten Selbstwerdung ausgeklammert.
Zudem sind Maslows Begriffe unscharf und nicht zu operationalisieren. Auch
fehlt eine Möglichkeit, spezifische Bedingungen für motivationale
Persönlichkeitsentwicklung darzustellen, der Übergang von einer
Hierachiestufe zur anderen bleibt zu allgemein.
Auch die Vorstellung MASLOWS, das die permissive Bedürfnisbefriedigung zur
Selbstverwirklichung führt, ist problematisch: Exzessive
Bedürfnisbefriedigung kann zu psychischen Defekten führen. Und last
but not least ist eine therapeutische Verwendung der Theorie nicht einmal
ansatzweise erarbeitet.