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Die
soziale Lerntheorie
Julian ROTTERS gehört zu der Gruppe von Persönlichkeitstheorien, die
an einem
dialektischen Modell
des Menschen orientiert sind, d.h. grundsätzlich werden sowohl die
Aktivität des menschlichen Organismus als auch die
Einflüße determinierender Einflüße der Umwelt vorausgesetzt. Die Umwelt
verändert das Individuum und das Individuum in der Interaktion mit dem
Umfeld wiederum die Umwelt.
Die Klassifikation in
mechanistische , organistische und dialektische
Grundannahmen über ein Modell des Menschen hat allerdings eine heuristische
Natur: So zeigt der Vergleich mit einer anderen dialektischen Persönlichkeitstheorie
z.B. von Fromm , daß es sich bei einer solchen Klassifikation
allenfalls um eine Akzentuierung eines Modells handelt.
Zusammen mit der
sozial-kognitiven
Lerntheorie von Albert BANDURA und dem
kognitiv-sozialen
Persönlichkeitsmodell Walter MISCHELS, allesamt soziale Lerntheorien,
könnte man eher von einem
transaktionalen Ansatz sprechen, wobei allerdings nicht historische und sozio-kulturelle Aspekte
analysiert werden.
(Transaktionskonzept: Organismus und Umwelt beeinflußen sich
wechselseitig als Teil eines totalen transaktionalen Feldes. Kein Teil des
Systems ist unabhängig außerhalb der anderen Teile des Systems oder
des Systems als Ganzem. Zwischen den Teilen des Systems besteht
Reziprozität, es gibt keine Ursache Wirkung-Relation, die Wirkung eines
beliebigen Teils des Systems hat Konsequenzen für andere Teile.)
ROTTERS Theorie ist eine
Synthese von lern- , gestalt- und feldtheoretischen (kognitiven
) Ansätzen, wobei aber immer noch eine lerntheoretische Orientierung
dominiert. Der Ansatz wird in die
Gruppe der Erwartungs-Wert-Theorien eingeordnet.
ROTTERS Theorie ist eine differential-psychologische
Handlungstheorie, da Verhalten als zielbezogen und kontextgebunden beschrieben wird.
ROTTER nimmt eine
konstruktivistische
Position ein: Es kann keine allgemeingültige
Persönlichkeitsdefinition geben, das Konstrukt kann allenfalls
präzisiert werden.
Die Theorie stützt sich auf 7 Basisannahmen:
1. Die Untersuchungseinheit für das Studium der Persönlichkeit ist
die Interaktion des Individuums mit seiner bedeutungshaltigen Umwelt. d.h.
- Merkmale der Personen können nicht ohne Bezug auf die Umwelt gesehen
werden
- Umweltmerkmale müßen als von den betroffenen Personen
wahrgenommene und interpretierte Phänomene begriffen werden
- Es besteht eine Wechselwirkung zwischen den Merkmalen von Personen und
Umwelt, die sich transaktional gegenseitig beeinflußen.
2. Rotters Annahmen sind antireduktionistisch zu Konstrukten anderer Disziplinen
3. Er wendet sich gegen eine dualistische Weltsicht: Die Beschreibungen der
Persönlichkeit durch verschiedene (z.B. neurologisch od. physikalisch)
Konstrukte mögen unterschiedlich sein, die Einheit der Person als
Ausgangspunkt der Beschreibung ist manifest.
4. Nicht jedes Verhalten eines Organismus kann nützlich durch
Persönlichkeitskonstrukte beschrieben werden, menschliche Individuen z.B.
müßen zuerst ein gewisses kognitives Entwicklungsniveau aufweisen.
(Selbstkontrolle b. e. Amöbe)
5. Die Persönlichkeit stellt eine Einheit dar. Einheit ist die zunehmende
Stabilität und Allgemeinheit des Verhaltens im Lebenslauf einer Person
6. Verhalten hat einen Richtungsaspekt, ist zielgerichtet. Der Richtungsaspekt
wird erschlossen aus dem Effekt von Verstärkungsbedingungen
7. Hier bezieht Rotter mit dem
Erwartungskonstrukt:
eine starke kognitive Komponente in seine Theorie mit
ein:
Das Auftreten des Verhaltens einer Person wird nicht nur durch die Art und
Bedeutung von Zielen und Verstärkern, sondern auch durch die Antizipation
(Erwartung) , daß diese Ziele eintreffen, bestimmt. Verhalten wird also
auch auf Basis erfahrungsbedingter Erwartungshaltungen bestimmt.
ROTTER formuliert seine Theorie auf zwei dimensional unterschiedlichen Abstraktionsebenen ,der molekularen (konkrete Verhaltensweisen der Person) und der molaren (Komplexe von Verhaltensmustern) Ebene. Auf der molekularen Ebene gibt es bei ROTTER vier zentrale theoretische Konstrukte:
1
Verhaltenspotential
Es ist wichtig, an dieser Stelle zu erwähnen, daß Rotter unter
Verhalten nicht allein beobachtbare motorische Aktivität, sondern auch
intrauterine Vorgänge wie Gedanken oder Gefühle versteht und
daß das o.g. Konstrukt bereits auf die folgenden drei verweist. Unter
Verhaltenspotential versteht er die Wahrscheinlichkeit, daß ein
bestimmtes Verhalten in einer bestimmten Situation im Zusammenhang mit einer
bestimmte Verstärkung auftritt.
2
Erwartung
wird definiert als die vom Individuum
subjektiv
vermutete Wahrscheinlichkeit, daß ein bestimmtes Verhalten in einer
bestimmten Situation zu einer bestimmten Verstärkung führt.
Erwartungen können spezifisch oder generell sein. (Man ist speziell oder
ganz allgemein von etwas überzeugt).
3
Verstärkungswert
von Ereignissen
ist hier definiert als der Grad der Präferenz für eine von mehreren
Verstärkungen mit der gleichen Auftretenswahrscheinlichkeit. Die
subjektive Bewertung von Ereignissen führt zu einer Art innerer
Präferenzskala. Deswegen ist hier stets die Relation der subjektiven
Bewertung mit dem Verstärker zu beachten. Ein negativer Verstärker in
der Liebe z.B. wird von einer auf den Beruf fixierten Person nicht so negativ
erlebt wie von einem beziehungsbetonten Menschen. Verstärkungen sind auch
immer im System zu betrachten, da sie z.B. als Folgeverstärkungen
aufeinander aufbauen.
4
Psychologische Situation
Dies verweist besonders auf ROTTERs erste Basisannahmen: Unter einer
"bedeutungshaltigen Umwelt" versteht ROTTER den erworbenen
Bedeutungsgehalt oder Sinn, den die Umwelt für das Individuum hat. Die
psychologische Situation ist ein komplexes Muster von untereinander reziproken
(sich gegenseitig beeinflußenden) Hinweisreizen, die auf ein Individuum
in einer zeitlichen Sequenz einwirken. Diese Situation ist nicht
personenunabhängig zu erfassen, sondern ist integraler Bestandteil der
Persönlichkeit. Je nach dem wie Personen Situationen interpretieren,
bestimmen sie ihr Verhalten (und verändern wiederum die Umwelt).
Die vier Grundkonstrukte werden nun folgendermaßen in Beziehung gesetzt:
Das Potential, daß das Verhalten X in der Situation S mit Aussicht auf die Verstärkung V auftritt, ist eine Funktion der Erwartung, daß die Verstärkung V dem Verhalten X in der Situation S auch wirklich folgt und eine Funktion des Wertes, den die Verstärkung V in der Situation S hat.
Nun beschränkt sich diese Definition auf die Auftrittswahrscheinlichkeit
eines bestimmten Verhaltens in einer bestimmten Situation unter einer
bestimmten Verstärkerbedingung . Es gibt aber Komplexe von
Verhaltensweisen, die sinnvoll nur dargestellt werden können, wenn man sie
als eine einheitliche Handlungstendenz betrachtet bzw. sie auf einen Nenner,
eine
Bedürfnis
(z.B. Agressionsbedürfnis)
bezieht. Auf der molaren Ebene wird dann von einem
Bedürfnispotential
(oder synonym
Zielpotential
) gesprochen. Die Wertigkeit des Bedürfnisses oder Zieles (seine
Stärke) ist dann der
Bedürfniswert
und die Gruppe funktional untereinander verbundener Erwartungen entspricht
der
Bewegungsfreiheit
(Niedrige Bewegungsfreiheit in einem speziellen Berreich entspricht somit
mangelnder Erreichbarkeit der Ziele)
Erwartungen können
spezifisch
oder
generalisiert sein
, also konkret und kompetent oder übertragen und sind natürlich
erlernt. Fehlende spezifische Erwartungen führen zu einer Anwendung
genereller Erwartungen.
Kurz: Die Befriedigbarkeit von Bedürfnissen ist identisch mit dem Konstrukt Bewegungsfreiheit, die Stärke von Bedürfnissen mit dem Bedürfniswert.
ROTTER hat nun versucht, in Bedürfnisklassen zu unterteilen und sie zu klassifizieren:
1. Anerkennung und Status -Bedürfnis nach Geltung
2. Dominanz -Bedürfnis, Handlungen anderer zu kontrollieren
3. Unabhängigkeit -Bedürfnis , selbst zu entscheiden, sich selbst zu kontrollieren
4. Schutz und Abhängigkeit -Vermeidung von Frustration und Erlangung von Sicherheit
5. Zuneigung und Liebe -Bedürfnis, akzeptiert und gemocht zu werden
6. Physisches Wohlbefinden -Bedürfnis nach Befriedigung, Vermeidung von Schmerz
Diese Bedürfnispotentiale sind erlernt.
Neben den generalisierten Verhaltens-Verstärker-Erwartungen unterscheidet ROTTER noch eine zweite Klasse generalisierter Erwartungen, die problemlösenden generalisierten Erwartungen .
Sie ermöglichen eine Ziel zu erreichen, wenn das Verhalten, daß ansonsten zum Ziel führt, blockiert ist. Auch sie sind aufgrund von Erfahrungen erlernt. ROTTER präzisiert dieses wichtige Konstrukt seiner Theorie in drei verschiedenen Spielarten generalisierter problemlösender Erwartungen:
Alternative Lösungsmöglichkeiten sind aktives Vorgehen der Personen zur Verfolgung blockierter Ziele. Kompetenz, die ja auch die Bewegungsfreiheit der Personen erhöht und Persistenz (Nachhaltigkeit) verbessern dabei die Zielverwirklichung.
Das zweite Konstrukt - mittlerweile fast bekannter als ROTTERs Theorie selbst - bezieht sich auf die subjektive Wahrnehmung der Person, ob sie selbst Verursacher verhaltensabhängiger Verstärker ist (internale Kontrolle der Verstärkung) oder ob sie die Folgen ihres Verhaltens außerhalb ihrer Einflußnahme erlebt ("Glück gehabt, Zufall") , z.B. auch unter der Kontrolle anderer Personen. Dieses Konstrukt ist genuin eine bedürfnisübergreifende Erwartung
Das dritte Konstrukt ist die Variable 'Zwischenmenschliches Vertrauen' und folgendermaßen eingeführt: Im Kontext der sozialen Lerntheorie ist zwischenmenschliches Vertrauen als eine Erwartung definiert, die ien Individuum darüber hegt, daß man sich auf das Wort, Versprechen etc. eines anderen Individuums oder einer Gruppe verlassen kann.
- Die soziale Lerntheorie - stark mit dem Begriff Entwicklung verknüpft -
ist mehr eine Prozeßtheorie als eine Strukturtheorie der
Persönlichkeit. Strukturell ist die Theorie nicht konzeptioniert genug,
z.B. erklärt sie kaum die kogniten Voraussetzungen der Kompetenz wie
Intelligenz oder Kreativität. Die Theorie hat Defizite in ihrer
Ausgestaltung.
- Es wird auschließlich gelerntes menschliches Verhalten beachtet, keine
Aussagen über genetische oder anlagebestimmte Voraussetzungen.
- Doiminanzverschiebungen der Bedürfnissysteme sind nicht erfasst worden.
Z.B. geht ROTTER in seiner Theorie nicht weiter auf das Problem der
Bewußtseinsentwicklung ein.
- ROTTER ist wertfrei in der Theorie, seine Theorie ist nicht in einen
philosophisch-anthropologischen Rahmen gefaßt. ROTTER liegt nichts daran,
seine Theorie anthropologisch zu fundieren und sich Gedanken darüber zu
machen, warum dies oder jenes Verhalten geändert werden sollte. Trotzdem
zeigt er bei "Internal versus External" deutlich eine bessere
Bewertung für Internale Kontrollüberzeugungen.
Auch sind die von ihm eingeführten Klassifizierung von Bedürfnissen
willkürlich und subjektiv gewählte Größen.
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